Saarbrücker Zeitung, 12.1.2000 EU will "tiefgreifenden Wandel" in der Türkei in Gang setzen Kommissar Verheugen: Beitrittsverhandlungen mit Ankara erst, wenn die Menschenrechte vollständig beachtet werden Irsee (rm). Die Verleihung des Status eines Beitrittskandidaten bedeutet für die Türkei nach den Worten des deutschen EU-Kommissars Günter Verheugen (SPD) nicht, dass eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) zwingend am Ende der Entwicklung stehen wird. "Kandidat zu sein ist keine Garantie auf Mitgliedschaft", sagte das für Erweiterungsfragen zuständige Mitglied der Kommission gegenüber unserer Zeitung. Er könne heute nicht beurteilen, ob die Türkei die Ebene der Beitrittsverhandlungen erreichen werde. Absicht der Union sei es, in der Türkei einen tiefgreifenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Wandel in Gang zu setzen, so dass dort derselbe Standard an Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sowie Achtung der Menschenrechte und der Minderheiten wie in der Europäischen Union herrscht. Erst dann könne "über die Frage der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gesprochen werden". Verheugen: "Die EU führt keine Beitrittsverhandlungen mit Ländern, in denen die Menschenrechte nicht vollständig beachtet werden." Der EU-Kommissar äußerte sich optimistisch über den "Reformwillen" und das "Reformtempo" in der Türkei. Dennoch bestehe die Gefahr, dass es beim Verfehlen des Beitrittszieles zur Enttäuschung komme. Dies hänge aber allein vom Veränderungswillen in der Türkei ab. Man habe Ankara die Perspektive einer Vollmitgliedschaft anbieten müssen, um eine Abwendung der Türkei von Europa zu verhindern. Beitritte auch von anderen Ländern Mittel- und Osteuropas würden erst vollzogen, wenn man die ökonomischen und sozialen Folgen sowohl im Beitrittsland wie auch in den angrenzenden EU-Ländern "wirklich beherrscht", versicherte der EU-Kommissar. Befürchtungen, dass sich die EU mit Neuaufnahmen finanziell und wirtschaftlich übernimmt, teilt Verheugen nicht. "Alle bisherigen Erweiterungsrunden waren ökonomisch erfolgreich, ohne dass die im Vorfeld geäußerten Bedenken eingetreten sind. Alles, was wir heute wissen, bestätigt uns in der Annahme, dass auch von der neuen Erweiterungsrunde beide Seiten profitieren werden", betonte der SPD-Politiker. |