Berliner Zeitung, 12.1.2000 Entscheidung über Öcalan erneut vertagt Türkischer Premier fürchtet Koalitionskrise ISTANBUL, 11. Januar. Die türkische Regierung wird die Entscheidung über das Schicksal von PKK-Chef Abdullah Öcalan möglicherweise weiter aufschieben, um die Koalition in Ankara zu retten. Das deutete der stellvertretende Ministerpräsident Devlet Bahceli von der rechtsextremen Partei des Nationalen Aufbruchs (MHP) am Dienstag in der Zeitung "Sabah" an. Mit Blick auf ein für den heutigen Mittwoch angesetztes Krisentreffen der Koalitionschefs, bei dem über die Hinrichtung des Rebellenchefs entschieden werden soll, sagte Bahceli, die Parteichefs würden sich dabei einer "Prüfungstaktik" wie an der Universität bedienen. "Wenn man ein Problem nicht lösen kann, dann wendet man sich der nächsten Frage zu, um keine Zeit zu verlieren. Wenn man alle Fragen beantwortet hat und dann noch Zeit ist, kommt man auf das offene Problem zurück." Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hatte die Türkei schon im November aufgefordert, die Hinrichtung des wegen Hochverrats zum Tode verurteilten PKK-Chefs auszusetzen, bis das dazu in Straßburg anhängige Verfahren abgeschlossen ist. Chance nicht verspielen Ministerpräsident Bülent Ecevit von der Demokratischen Linkspartei und die Mutterlandspartei von Mesut Yilmaz wollen dieser Bitte stattgeben, um die Chancen der Türkei auf eine weitere Annäherung an Europa nicht zunichte zu machen. Ecevit hatte die politische Führung seines Landes aufgerufen, bei der Entscheidung über die Hinrichtung von Öcalan die politischen Auswirkungen sorgfältig zu erwägen. Weil dem aber die ebenfalls an der Regierung beteiligte MHP nicht zustimmen will, vertagte die Regierungskoalition in Ankara ihre Antwort auf den Straßburger Antrag zunächst bis nach Neujahr. Die Drei-Parteien-Koalition ist seit einem Dreivierteljahr im Amt und galt bisher als eine der stabilsten türkischen Regierungen in jüngster Zeit. Der Koalitionsstreit soll nun am Mittwoch ausge |