Stuttgarter Zeitung, 11.1.2000 Parlamentskandidatur aus dem Gefängnis Im Iran verhindert der konservative Wächterrat das Schlimmste: freiheitliche Parlamentarier Vor den Wahlen ist im Iran ein Ringen um kandidierende Reformer entbrannt. Viele sind ausgeschlossen worden. Von Jan Keetman, Istanbul Der so genannte Wächterrat hat den Ausschluss von 83 zum Teil führenden Reformpolitikern von der Kandidatur bei den Parlamentswahlen am 18. Februar beschlossen. Das hat der Vorsitzende der Freiheitsbewegung Irans, Ebrahim Yazdi, mitgeteilt. Unter den Ausgeschlossenen sollen alle Kandidaten der Freiheitsbewegung einschließlich Yazdi selbst sein sowie der ehemalige Innenminister Abdullah Nuri, der seine Kandidatur vom Gefängnis aus eingereicht hat. Die von Mehdi Bazargan 1961 gegründete Freiheitsbewegung spielte in der Revolution von 1979 eine große Rolle und hatte gute Beziehungen zu Khomeini. Ebrahim Yazdi wurde der erste iranische Außenminister nach der Revolution. Die Freiheitsbewegung stürzte schließlich vor allem, weil sie als strikte Antikommunisten eine prowestliche Politik vertraten. Heute wird sie nur noch geduldet, ist aber formell nicht als Partei anerkannt. Die Freiheitsbewegung darf auch keine eigene Zeitung herausgeben, und Ende Dezember wurde eine Rede Yazdis in Qazwin von einer gewalttätigen Menge verhindert. Abdullah Nuri ist nach dem Präsidenten Mohammed Khatami, als dessen Vertrauter er gilt, wohl der prominenteste Vertreter der Reformbewegung. Ende November verurteilte ein Sondergericht für Geistliche Nuri, der schiitischer Geistlicher mittleren Ranges ist, zu fünf Jahren Haft wegen ¸¸antiislamischer Propaganda''. Trotzdem akzeptierte das von den Reformern dominierte Innenministerium Nuris Einschreibung zur Wahl, während jetzt der von den Konservativen dominierte Wächterrat ihn wie erwartet ausgeschlossen hat. Die Wählbarkeit der Kandidaten entscheidet sich vor allem auf Grund ihrer Übereinstimmung mit den Prinzipien der Islamischen Revolution. Dies lässt einen weiten Spielraum für Interpretationen. Yazdi hatte mit einem Einspruch gegen die Kandidatur gerechnet und will Widerspruch einlegen. Vor einem Jahr war auch Nuri in einer ähnlichen Situation gewesen, als seine Kandidatur für den Teheraner Stadtrat abgelehnt wurde. Damals saß Nuri selbst in einem der beiden Ausschüsse, die über die Wählbarkeit der Kandidaten zu entscheiden hatte. Diese Kombination hielt die Konservativen im Zaum, mit dem Ergebnis, dass Nuri mit dem besten Ergebnis aller Bewerber in den Stadtrat gewählt wurde, während alle konservativen Kandidaten durchfielen. Doch diesmal geht es um mehr als nur Stadtratswahlen. Es wird spekuliert, dass der besonders von den Studenten unterstützte Nuri sich zum Parlamentssprecher wählen lassen könnte. Ein Posten, der ohne Nuri möglicherweise an den moderaten ehemaligen Präsidenten Ayatollah Akbar Haschemi Rafsandschani fiele, mit dem die Konservativen weit besser leben können als mit dem kämpferischen Abdullah Nuri. |