Berliner Zeitung, 13.1.2000 Der Mann mit dem Problem der weißen Socken von Martina Doering Devlet Bahceli mag keine weißen Socken. Den Männern aus der Führungsriege seiner Partei des Nationalen Aufbruchs (MHP) hat er das Tragen dieser Fußbekleidung untersagt. Das hat weniger mit Bahcelis persönlichem Geschmack, sondern mehr mit türkischer Politik zu tun: Schnauzbart und weiße Socken sind das Erkennungszeichen der rechtsextremistischen "Grauen Wölfe", als deren Sammelbecken die MHP gilt. Seit ihrem überraschenden Wahlerfolg im April letzten Jahres sitzt die MHP jedoch in der Regierung, Bahceli ist Vize-Premier und arbeitet daran, der Partei ihr schlechtes Image zu nehmen. Nun aber sitzt Bahceli in der Klemme: Das Kabinett soll über das Todesurteil gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan entscheiden. Die anderen Koalitionsparteien und Premier Bülent Ecevit plädieren dafür, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte abzuwarten. Die MHP-Anhängerschaft aber will Öcalan sobald als möglich hängen sehen. Formal fordert das auch der Parteichef. Doch Bahceli weiß auch: Wenn er im Kabinett diese Position vertritt, müsste er die Regierung verlassen. Das aber will Bahceli nicht. Im Vergleich zu vielem, was der 52-Jährige in seiner politischen Laufbahn schon vollbracht hat, ist die Auflösung dieses Widerspruchs eher ein kleines Problem. Überraschend war schon, dass er nach dem Tod von Parteigründer Alparslan Türkes die Führung der Partei übernahm. Der Sprößling eines Großgrundbesitzerclans im Südosten der Türkei hatte exzellente Privatschulen besucht, an der Ghazi-Universität in Ankara brav und fleißig sein Studium absolviert und dann dort als Dozent gearbeitet. Schon als Student war er aber auch der MHP beigetreten. Ihr Kampftrupp, die Grauen Wölfe, überzog in den 70er-Jahren die Türkei mit Gewalt und Terror, bis ein Militärputsch 1980 dem Chaos ein Ende machte. Bahceli hat sich damals persönlich für die Entlassung vieler inhaftierter Grauer Wölfe eingesetzt. Später taten sich ihre Mitglieder dann mit Anschlägen auf PKK-Aktivisten hervor. Inmitten der zu großen Gesten, Gewalttätigkeit und pathetischen Reden neigenden Mannsbilder fiel der kleine, eher nüchterne und kontrolliert handelnde Bahceli auf: Was ihm schon früh die Aufmerksamkeit und die Förderung von MHP-Gründer Türkes eintrug. So vertrat er ihn bereits nach dem Militärputsch von 1980, als Türkes im Gefängnis saß. Dann wurde Bahceli zum Generalsekretär gekürt. Als Türkes 1997 starb, setzte sich Bahceli auf einem von wilden Schlägereien unterbrochenen Sonderparteitag gegen Türkes-Sohn Tugrul durch. Recht schnell bekam Bahceli als neuer Vorsitzender seine Partei in den Griff, obwohl er zu den faschistoiden und rassistischen Ideen ihres Gründers auf Distanz ging. Sie seien, sagte er, "von der Geschichte verurteilt" worden und es wäre "nicht klug, diesen Ideen weiter anzuhängen". Trotzdem spielte die Partei politisch kaum eine Rolle - bis zum April letzten Jahres. In gewisser Weise hatte sie ihren Wahlerfolg ausgerechnet Abdullah Öcalan zu verdanken. Die Verhaftung des PKK-Chefs in Kenia durch eine türkische Sondereinheit versetzte das Land in einen nationalistischen Taumel. Davon profitierte die Demokratische Linkspartei von Bülent Ecevit, der jetzt Premierminister ist. Diese Begeisterung bescherte aber auch der MHP die Beteiligung an der Koalition und Bahceli das Amt des Vize-Premiers. Als Preis für das Mitregieren hat die MHP bereits einige Zugeständnisse machen müssen: sie ist gegen eine Annäherung an Griechenland und die Wirtschaftsreformen zu Lasten ihrer Klientel aus dem Mittelstand sowie die Maßnahmen zur Eindämmung der Islamisten. Aber Bahceli will die Macht nicht gleich wieder aus der Hand geben: Seine MHP ist ein Mitbewerber um die von den bürgerlichen Parteien verlassene Mitte. Außerdem sind viele Getreue noch mit Posten zu versorgen. Bahceli will in dieser Regierung bleiben. Deshalb spricht vieles dafür, dass er auch eine Aufhebung des Todesurteils gegen Öcalan hinnehmen wird. Vor seinen Anhängern wird er dann allenfalls bedauernd mit den Schultern zucken. |