junge Welt, 14.1.2000 Ankara schiebt Hinrichtung Öcalans auf Türkische Regierung will Entscheidung aus Strasbourg abwarten Der Führer der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, soll vorerst nicht hingerichtet werden. Die Koalitionsregierung von Ministerpräsident Bülent Ecevit verständigte sich am Mittwoch abend darauf, zunächst die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte abzuwarten. Damit lenkte die rechtsextreme Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) ein, die sich bislang für eine rasche Vollstreckung des Todesurteils gegen den PKK-Führer ausgesprochen hatte. Die MHP stimmte nun zu, die Entscheidung über die Vollstreckung des Urteils erst dem Parlament zuzuleiten, nachdem der Strasbourger Gerichtshof eine Entscheidung gefällt hat. Ecevit sagte jedoch einschränkend, die Hinrichtung könne kurz bevorstehen. »Wenn die Rebellen und ihre Anhänger versuchen, diesen Prozeß gegen die Interessen des Staates zu verwenden, dann wird der Aufschub widerrufen und der Prozeß der Hinrichtung sofort wieder aufgenommen«, sagte er. Beobachter werteten diese Warnung als einen Versuch, den nationalistischen Koalitionspartner und die Angehörigen der im Kampf gegen die Rebellen gefallenen Soldaten zu besänftigen. Ecevit hat in der Vergangenheit erklärt, die Vollstreckung des Todesurteils gegen Öcalan würde die Aussichten der Türkei auf eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union erheblich verschlechtern. Die Nationalisten kamen mit dem Versprechen an die Regierung, Öcalan hinrichten zu lassen. Jetzt stehen sie unter dem Druck, ihr Wahlversprechen einzuhalten und den Fall des PKK-Führers schnell an das Parlament weiterzuleiten. Nach der Entscheidung des Gerichts in Strasbourg, die bis zu zwei Jahre dauern kann, werde diese sofort dem Parlament zugeleitet, erklärte Ecevit. Der Mitarbeiter des europäischen Gerichts für Menschenrechte Wolfgang Peukart sagte in Ankara, er glaube, die Türkei werde auf die Entscheidung aus Strasbourg warten. »Eine Hinrichtung würde mehr Spannungen in der Türkei verursachen und wäre nicht gut für die türkische Gesellschaft und Industrie«, sagte Peukart. In der Türkei wurde zuletzt 1984 ein Todesurteil vollstreckt. In zahlreichen europäischen Staaten begrüßten Regierungsvertreter die Entscheidung in Ankara. Am Mittwoch abend hatten sich in Ankara Hunderte Menschen bei einer Beerdigung von Soldaten, die zu Wochenbeginn bei Gefechten mit Rebellen getötet worden waren, versammelt. Sie beschimpften Präsident Süleyman Demirel als Verräter. Die Gruppe forderte die Regierung zum Rücktritt auf. (AP/AFP/jW) |