Der Standard, 14.1.2000 Kommentar Mit Engelszungen Gudrun Harrer Ecevit hat es geschafft. Wer den türkischen Ministerpräsidenten in den Monaten seit der Verkündung des Todesurteils gegen Abdullah Öcalan beobachtet hat, konnte sich denken, dass er "Apo" nicht ans Parlament und damit dem Henker ausliefern würde. Dass Bülent Ecevit aber noch dazu seine Regierung, an der die Rechtsnationalen beteiligt sind, über diese Entscheidung hinübergerettet hat, war alles andere als zu erwarten. Ecevit und der Dritte im Regierungsbunde, Mesut Yilmaz, müssen mit Engelszungen geredet haben, um Devlet Bahceli, der seinem Wahlvolk immer wieder den Kopf Öcalans versprochen hatte, zum Abwarten zu bewegen. Dabei hatte Bahcelis Partei bei den Wahlen im April gerade im nationalen Überschwang nach der Festnahme Öcalans so zugelegt. Man wird allerdings erst noch sehen müssen, ob Bahceli seine Hinwendung zur Vernunft politisch überlebt. Die Erleichterung in Europa ist groß: Der Vertrauensvorschuss, den die EU in Helsinki der Türkei gab, indem sie ihr den Kandidatenstatus verlieh, war gerechtfertigt. Für Ecevit wäre es umgekehrt nach einer neuerlichen Ablehnung ungleich schwieriger gewesen, zu argumentieren, dass man weiter auf Europa hören solle. Den türkischen Isolationisten wurde in Helsinki der Wind aus den Segeln genommen, Ecevit hat das geschickt zu nützen gewusst. Aber noch größer ist die Erleichterung in dem Teil der türkischen Öffentlichkeit, die - wenn vielleicht auch aus hauptsächlich pragmatischen Gründen - dem Westen zugewandt ist. Mit einer Hinrichtung Öcalans wären alle mühsam erbauten Brücken erst einmal abgerissen worden. Aber auch ohne Blick auf Europa können sich die Türken freuen: Dass ein toter Öcalan für Frieden und Stabilität in der Türkei weitaus gefährlicher wäre als ein im Gefängnis eingesperrter, prognostiziert auch ein türkischer Geheimdienstbericht |