junge Welt, 18.1.2000 Kurde will nicht in die »Zone« In der JVA Würzburg zündete sich ein Kurde an, um seine drohende Abschiebung zu verhindern Idris T. ist Kurde. Seine Heimat ist das Dorf Uzunsirt in der Provinz Hakkari-Yüksekova. Uzunsirt liegt in der »Zone«. »Bölge« heißt in der Türkei das Gebiet, dessen Namen zu nennen bei Strafe verboten ist. Die »Zone« ist Kurdistan. Dort herrscht seit dem Militärputsch 1980 der Ausnahmezustand. Die Mehrheit der Bevölkerung ist kurdischer Herkunft und unterstützt den Kampf der Guerilla. Der »schmutzige Krieg« gegen sie erreichte Anfang der 90er seinen Höhepunkt: Menschen verschwinden, manche werden Wochen später verstümmelt, tot aufgefunden, ganze Dörfer fegt das türkische Militär leer, Frauen werden vor den Augen ihrer Angehörigen auf Dorfplätzen geschändet, Häuser, Felder, das Vieh auf der Weide gehen in Flammen auf. 1992 wird Idris T. mit gut zwei Dutzend anderen kurdischen Männern und Frauen vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir des Hochverrats angeklagt. Unklar, warum noch während des Verfahrens gegen einige der Angeklagten, darunter auch Idris T., der Haftbefehl aufgehoben wird. Der Mann taucht ab. 1995 verurteilt das Staatssicherheitsgericht Diyarbakir ihn in Abwesenheit zum Tode und wandelt das Urteil später in lebenslange Haftstrafe um. Seine Anwälte reichen Revision ein, doch das Urteil wird 1996 bestätigt. Idris T. flüchtet und gelangt nach Deutschland. Dort stellt er 1997 einen Asylantrag, das Verfahren dazu wird Anfang 1999 vom Verwaltungsgericht Cottbus eingestellt. Im Dezember 1999 nehmen BGS-Beamten den Kurden an der deutsch-österreichischen Grenze fest. Er kommt in Abschiebehaft in die JVA Würzburg. Dort wird ihm eröffnet, daß man mit ihm kurzen Prozeß machen werde. Seine Anwältinnen stellen einen Asyl-Folgeantrag, über den das Verwaltungsgericht Cottbus nun entscheiden soll. Doch obwohl das Gericht den Folgeantrag noch nicht behandelt hat, legt die Ausländerbehörde einen Abschiebetermin fest: Am 11. Januar soll Idris T. in die Türkei »ausreisen«. Seine Festnahme dort ist sicher, schließlich ist er für den türkischen Staat ein »Hochverräter«. Auch Folter erwartet ihn. Um diesem Grauen zu entgehen, zündet er sich am 7. Januar an. Idris hat Glück, wenn man davon in einer solchen Situation überhaupt sprechen kann: Nur sein linkes Bein ist mit Verbrennungen zweiten Grades großflächig verletzt. Seine erforderliche »Reisefähigkeit« soll am 20. Januar erneut geprüft werden. Ein Arzt, Spezialist für Traumatisierung durch Folter und Suizidgefährdung, der Idris T. auf Antrag seiner Anwältinnen in der JVA Würzburg untersuchen sollte, wird von der Leitung der JVA nicht zugelassen. Dafür, so die Anstaltsleitung, sei ein richterlicher Beschluß nötig. Idris T. ist nicht in Lebensgefahr. Noch nicht. Sollte seine Abschiebung erfolgen, bestätigt die Juristin Hermanns aus Berlin auf jW-Nachfrage, sei eine Festnahme in der Türkei sicher. Aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten sei auch zu erwarten, daß Idris T. nach seiner Festnahme in der Türkei schwerste Folter zu erwarten habe. Karin Leukefeld |