Frankfurter Rundschau, 19.1.2000 Film vom Nato-Bombardement lief 4,7-mal schneller als Realzeit Neue Erkenntnisse zu Videos über Angriff auf Brücke und Zug im Kosovo-Krieg / Zweifel an "Unfall"-Version erhärtet Von Arnd Festerling Die US-Luftwaffe hat nun zwei in Normalgeschwindigkeit laufende Videos ihrer Bombenangriffe auf eine Brücke und einen Personenzug bei Grdelicka während des Kosovo-Krieges veröffentlicht. Aus diesen Videos geht hervor, dass die ursprünglich von der Nato gezeigten Filme fünffach in der Zeit gerafft worden waren. Das US-Verteidigungsministerium und das Oberkommando der Nato-Streitkräfte in Europa (Shape) hatten nach Veröffentlichungen der FR nur einen Beschleunigungsfaktor von 2,7 eingestanden. FRANKFURT A. M., 18. Januar. Shape hatte der FR auf Anfrage am vergangenen Freitag mitgeteilt, zwei in Realzeit laufende Videos der Bombenangriffe mit 14 Toten am 12. April 1999 seien vor gut einer Woche von der US-Luftwaffe in Europa (USAFE) veröffentlicht worden. Diese Filme - sie standen für einige Tage im Internet - laufen offenbar tatsächlich in Realzeit, wie ein zu Beginn sichtbarer sekundensynchroner Zähler zeigt. Im Vergleich zu den ursprünglich gezeigten Filmen laufen sie etwa 4,7-mal langsamer und nicht, wie zuvor offiziell mitgeteilt, 2,7-mal. Dies ergab eine Analyse, die der Physiker Jörn Loviscach vom Computermagazin c't für die FR vornahm. Das Oberkommando der US-Luftwaffe in Europa sagte der FR, die Nato sei für das Video zuständig, die Air Force könne dazu keine Auskunft geben. Shape erklärte zu der Raffung: "Das entspricht nicht unseren Erkenntnissen." Auf die Frage, ob die Nato die Raffung noch einmal überprüfen werde, hieß es bei Shape: "Für uns ist das inzwischen eine alte Story." Ein Beschleunigungsfaktor von etwa 5 entspricht auch eher den Bedingungen vor Ort. So hätte der Faktor von 2,7 eine Geschwindigkeit des Zuges von 110 Stundenkilometern vorausgesetzt - zu schnell für das marode Schienennetz in Serbien. Der Faktor 4,7 entspricht einer Zuggeschwindigkeit von etwa 60 Kilometern pro Stunde. Laut Petar Andjelkovic von der Jugoslawischen Bahn sind an dieser Stelle nur 65 Stundenkilometer erlaubt. Der Shape-Oberkommandierende, US-General Wesley Clark, hatte der Presse am Tag nach dem Angriff die beiden Zeitraffer-Videos vorgeführt und damit die Darstellung untermauern wollen, es habe sich bei dem Zug-Bombardement um einen unvermeidlichen Unfall gehandelt. Bei dem ersten Angriff fährt ein Personenzug ins Bild, der von der ersten videogesteuerten AGM-130-Raketenbombe getroffen wird. Clark hatte erklärt, der Treffer sei wegen des schnellen Zeitablaufs nicht zu verhindern gewesen. "Weniger als eine Sekunde" habe der "Pilot" der angreifenden F 15E (eigentlich lenkte der Waffensystem-Offizier die Raketenbombe) zur Reaktion gehabt, hatte Clark am 13. April gesagt. Dieser Zeitraum ist aber offenbar 4,7-mal so lang gewesen. Auch der zweite Film, der aus der AGM-130 aufgenommen wurde, die den brennend auf der Brücke stehenden Zug trifft, war in seiner ersten veröffentlichten Form etwa fünffach gerafft. Diese AGM-130 ist entgegen ersten Darstellungen laut Shape von einer zweiten F 15E abgefeuert worden. Bereits zu Beginn des bis zum Einschlag etwa 40 Sekunden langen Films stehen beim ersten Angriff getroffene brennende Waggons auf der Brücke. Die erste Bombe muss also mindestens 40 Sekunden vor der zweiten eingeschlagen sein. Sollte der Waffensystem-Offizier des ersten Flugzeuges auf seinem Bildschirm gesehen haben, dass er einen Personenzug getroffen hat, hätten ihm mindestens diese 40 Sekunden zur Verfügung gestanden, um die Besatzung des zweiten Fliegers davon zu unterrichten. |