Neue Züricher Zeitung, 21.1.2000 Ein hoffnungsvoller Neuanfang in der Ägäis Erstmals seit 1962 hat ein griechischer Aussenminister die Türkei besucht. Abkommen wurden unterzeichnet, und weitere sollen beim Gegenbesuch des türkischen Aussenministers Anfang Februar in Athen zur Unterschrift vorgelegt werden. Zum Abbau der Spannungen zwischen den beiden Nato- Partnern hat Ankara vertrauensbildende Massnahmen auf militärischem Gebiet vorgeschlagen. Der vor längerer Zeit gebildete «Rat der Weisen», dessen Mitglieder sich das letzte Mal 1997 getroffen hatten, soll wiederbelebt werden. Seine Aufgabe besteht in der Ausarbeitung von Vorschlägen zur Lösung der Territorialkonflikte in der Ägäis. Der türkische Regierungschef Ecevit hat seinen griechischen Amtskollegen Simitis nach Ankara eingeladen. Jahrzehntelang hatte man sich feindselig gegenübergestanden, und noch vor vier Jahren wäre es wegen einer unbewohnten Felseninsel in der Ägäis beinahe zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. Was ist geschehen, dass sich die historisch belasteten Beziehungen in derart kurzer Zeit merklich verbessert haben? Eine wichtige politische Voraussetzung dafür ist der proeuropäische, auf die Modernisierung Griechenlands ausgerichtete Kurs der Regierung. Simitis hebt sich allein schon durch die nüchterne Sprache und den weitgehenden Verzicht auf das Schüren von Ängsten und Vorurteilen von den nationalistischen und populistischen Parolen ab, deren sich seine Vorgänger gerne und oft bedienten. Der Entspannung mit der Türkei war die Normalisierung der Beziehungen mit Albanien und, trotz dem nach wie vor ungelösten Streit um den Staatsnamen, mit Mazedonien vorausgegangen. Athen ging auch auf Distanz zu Serbien, nachdem es Belgrad beim Zerfall Jugoslawiens und im Bosnien- Krieg noch den Rücken gestärkt hatte. Im Krieg um Kosovo wahrte Simitis, ungeachtet der antiamerikanischen und proserbischen Stimmung im Land, in einem schwierigen Balanceakt die Solidarität mit der Nato. Das wichtigste Ziel der Regierung besteht darin, Griechenland bis zum Beginn des Jahres 2001 in die Europäische Währungsunion zu führen. Das bedingt eine Verbesserung des Verhältnisses zu Brüssel. Athen galt seit dem EG-Beitritt von 1981 wegen seiner hartnäckigen Obstruktions- und Konfrontationspolitik, etwa der langjährigen Blockierung der Finanzhilfe für die Türkei im Rahmen der Zollunion, als lästiger Störenfried. Dieses Image scheint Athen nun loswerden zu wollen - auch aus der Einsicht heraus, dass mit einer pragmatischen Politik der Kooperation mehr zu erreichen ist. Die prinzipielle Zustimmung zur Aufnahme der Türkei in den Kreis der EU-Beitrittskandidaten im Dezember war denn auch jener entscheidende Schritt, der - über die gegenseitige spontane Hilfe nach den Erdbeben vom Sommer hinaus - die Tür für eine politische Annäherung aufgestossen hat. Als Gegenleistung für den Verzicht auf das von Athen angedrohte Veto verpflichtete sich die Türkei, alle territorialen Streitigkeiten, die bis zum Ende des Jahres 2004 noch nicht gelöst sind, durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag klären zu lassen. Die Fortschritte bei der Entkrampfung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind bemerkenswert. Der Weg ist aber noch sehr lang, und man steht erst am Anfang. Bei den wirklichen Knacknüssen, der Abgrenzung des Festlandsockels, dem Territorialstreit in der Ägäis und vor allem im Zypern- Konflikt, zeichnet sich nämlich keine Annäherung ab. Rückschläge sind jederzeit möglich; auf beiden Seiten gibt es Widerstand. Simitis hat grosse innenpolitische Risiken auf sich genommen, auch wenn die Opposition, die der Regierung unzumutbare Nachgiebigkeit, ja sogar Verrat an den nationalen Interessen vorwirft, derzeit einen schweren Stand hat. Die Gegner der Politik der Verständigung scheinen zudem vergessen zu haben, dass die griechisch-türkischen Beziehungen, trotz den schweren Hypotheken aus der Geschichte, zwischen 1930 und dem Aufbrechen des Zypern-Konflikts Ende der fünfziger Jahre, insgesamt gut waren. Es wäre schon viel erreicht, wenn sich die ersten Fundamente, die nun gelegt werden, als tragfähig erwiesen. Vertrauensbildende Massnahmen, zu denen vor allem auch der Abbau der während Jahrzehnten auf beiden Seiten gehegten Feindbilder gehört, schaffen das Klima, das eine Annäherung im Zypern- Konflikt erst ermöglicht. C. Sr. |