Der Standard (A), 22.1.2000 Verkehrte Welt auf pragmatischer Basis Umsetzung der Einigung zwischen den nordirakischen Kurden lässt auf sich warten Gudrun Harrer Wien - Im September 1998, also vor fast eineinhalb Jahren, unterzeichneten die zwei großen, zum Vorteil Bagdads permanent zerstrittenen kurdischen Parteien des Nordirak - KDP (Kurdische Demokratische Partei) und PUK (Patriotische Union Kurdistans) - unter US-Ägide das "Washington agreement". Sehr zum Missvergnügen Saddam Husseins natürlich, dessen Einfluss im von der UNO verwalteten Nordirak endgültig gebrochen werden sollte. Sadi Ahmed Pire, PUK-Parlamentarier und -Außenpolitiker, beantwortet die Frage, wie es heute in Irakisch-Kurdistan steht, positiv, aber ohne viel Enthusiasmus. Die Umsetzung des Abkommens "geht zögerlich vor sich". Aber immerhin, es gebe keinen Krieg mehr, und freie Bewegung sei heute überall möglich. Allerdings, so der Einwand des STANDARD, nicht nur für die Kurden: Als Tarik Aziz, Saddams Vizepremier, vor einem Jahr durch die KDP-Gebiete in die Türkei reiste, wurde er mit allen Ehren empfangen und sicher geleitet (man könnte doch meinen, dass die Kurden einen so hohen irakischen Offiziellen in Stücke zerreißen würden, wenn sie seiner habhaft würden). Die verkehrte irakische Welt steht auf einer sehr pragmatischen Basis: Das vom Irak in die Türkei geschmuggelte Erdöl - bis zu einem Viertel des türkischen Ölbedarfs - geht durch die KDP-kontrollierte Zone, und die immens hohen Einnahmen teilen sich KDP und Bagdad, wo sie direkt an Saddam-Sohn Kusay gehen. Im Washingtoner Papier, erklärt Pire, sei unter anderem festgeschrieben, dass die Schmuggelgelder unter den nordirakischen Kurden verteilt werden sollen, dass also auch die (vom Iran gesponserte, Anm.) PUK etwas abbekommt. Das sei bisher nicht geschehen, so Pire: Die Türkei, die zeitweise die KDP für ihren Kampf gegen die PKK benutzte, welche den Nordirak als Rückzugsgebiet verwendete, schaue darauf, dass das Geld bei der KDP bleibe. Pire sieht darin, dass das PKK-Problem in der Türkei im Schwinden ist, eine Hoffnung auf geringere türkische Einmischung und eine bessere Umsetzung des Vertrags. Sanktionsbruch Das muss man sich schon noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die USA, die schärfsten Verfechter des UNO-Embargos gegen den Irak, initiieren ein Abkommen, das Geld, das durch Sanktionsbruch zustande kommt, "gerechter" aufteilt. Natürlich im Wissen, dass der Saddam-Clan damit so viel verdient, dass er auf die Sanktionsaufhebung pfeifen kann. In Washington wurde weiters festgeschrieben, dass PUK-Büros in KDP-Gebieten und umgekehrt geöffnet werden sollen, das gehe schleppend. Auch die reziproke Gefangenenfreilassung sei nicht abgeschlossen, so Pire, die KDP halte noch immer PUK-Leute fest. Auf die Frage, wie sich die irakischen Kurden die Zukunft ausmalen, kommt eine für alle Staaten mit kurdischen Minderheiten - Türkei, Syrien und Iran - versichernde Antwort: Man wolle, sagt Pire, eine föderalistische Lösung für den Irak, keine Abspaltung von Kurdistan. Natürlich unter einem anderen Regime, unter Saddam gebe es keine Zukunft für den Irak, und auch danach werde es nicht rosig werden: der gewaltige, nicht rückgängig zu machende Aderlass an qualifizierten Menschen, die wahnsinnige Schuldenbelastung für kommende Generationen. Wann und wie man die jetzige Regierung in Bagdad loswerden könne, darauf hat nicht nur Sadi Pire keine Antwort. |