Berliner Morgenpost, 24.1.2000 Die Hisbollah in Ankaras Ämtern? Türkischer Premier befürchtet Infiltration AP/dpa Ankara - Die islamische Extremistenorganisation Hisbollah hat nach den Worten des türkischen Regierungschefs Bülent Ecevit möglicherweise Mitglieder in staatliche Institutionen eingeschleust. Ecevit reagierte damit in der Nacht zu gestern auf die Festnahme eines mutmaßlichen Hisbollah-Mitglieds in seinem Büro. Der am Vortag verhaftete Computerspezialist hatte nach Informationen der Tageszeitung Radikal Zugang unter anderem zur gesamten Reiseplanung des Ministerpräsidenten und anderer Regierungsmitglieder. Ecevit sagte zudem, im Zusammenhang mit dem Hisbollah-Terror müsse mit neuen grausamen Funden gerechnet werden. Gestern entdeckte die türkische Polizei dann weitere neun Leichen. Sechs Tote wurden bei Grabungsarbeiten in der Nähe von Icel in der Südtürkei gefunden, drei im Umfeld der Stadt Tarsu. Dieses Grab hatte ein kürzlich festgenommener Hisbollah-Kommandeur der Polizei gezeigt. Die Toten waren wiederum gefesselt. Damit stieg die Zahl der mutmaßlichen Opfer der islamischen Extremisten, die innerhalb einer Woche gefunden wurden, auf 31. Polizeichef Mehmet Aksu erklärte im mittelanatolischen Konya, nach Aussagen von Hisbollah-Kämpfern könnten allein in dieser Stadt bis zu 100 weitere Opfer verscharrt sein. Unterdessen ging die Polizei in mehreren Städten weiter gegen die Hisbollah vor. Zeitungsberichten zufolge wurden am Wochenende wieder Dutzende Verdächtige gefasst. In den vergangenen Tagen seien im ganzen Land rund 200 Anhänger der Hisbollah in Gewahrsam genommen worden. Im Zusammenhang mit der Extremisten-Affäre geraten aber auch türkische Staatsorgane immer mehr in die Kritik der Presse. Es gibt Verdachtsmomente, wonach die Gruppe Ende der 80-er Jahre unter Mithilfe des Staates gegründet wurde, um ein Gegengewicht gegen die PKK-Separatisten zu schaffen. In der ersten Zeit ermordete die Gruppe, die nichts mit der proiranischen Organisation gleichen Namens in Libanon zu tun hat, auch in erster Linie PKK-Mitglieder. Die türkischen Behörden «scheinen ein Ungeheuer geschaffen zu haben, das gefährlicher ist als die PKK», schrieb der Chefredakteur der Turkish Daily News. |