Vogtland Anzeiger, 24.1.2000 Keine Beschäftigung, keine Arbeit, kein Geld, keinen Kontakt, keine Privatsphäre, keine Zukunft Zum Nichtstum verdammt - Asylbewerber in Sachsen Von Petra Franke Junge Männer mit dunklen Augen und schwarzen Haaren sitzen am Tunnel. Sie sprechen kaum miteinander und pfeifen ab und zu einem hübschen blonden Mädchen hinterher. Das ist so ziemlich alles, was ein Plauener von den rund 300 Asylbewerbern, die in der Stadt leben, bemerkt. Die Vorurteile sind dann schnell fertig. Die leben nur auf unsere Kosten, kiegen alles, was sie wollen, und müssen nicht arbeiten. Ist dem wirklich so? Wie leben Asylbewerber in dieser Stadt? Frei von Sorgen, Müh' und Plage? Wohl kaum. PLAUEN. - Seit einem Jahr lebt die junge Iranerin mit ihrem Mann in Plauen. Ihr Baby ist sieben Monate alt. Das Zimmer, in dem die drei ihre Tage verbringen, ist eng, an der Decke sind Schimmelflecken. ,,Es ist schlimm im Heim'', ist der erste Satz, den fast jeder sagt. Auch die junge Mutter, die ihren Namen - wie alle anderen übrigens auch - nicht in der Zeitung lesen möchte. Nein, nicht aus Angst vor den deutschen Behörden, sie alle hatten Gründe ihre Heimatländer zu verlassen. ,,Besonders schlimm ist es für das Baby, überall der Schmutz, wo soll es denn spielen.'' Überhaupt Schmutz und Lärm. Zu viele Menschen auf kleinstem Raum, von denen viele längst resigniert haben, die Wut über ihre eigene Situation und die Ohnmacht angesichts ihrer Probleme nur noch mit sinnlosem Türenschlagen, Herumschreien und falschem Feueralarm abreagieren. ,,Wir brauchen eine Wohnung'', ist ihr sehnlichster Wunsch. Doch der ist selbst mit gutem Willen kaum zu erfüllen. Gesetz ist Ge setz und Vorschriften sind Vorschriften. In Teheran hatte sie zwei Jobs - als Gymnastiktrainerin und Sekretärin - und eine Eigentumswohnung. Von den Aktivitäten ihres Mannes in der Opposition erfuhr sie erst, als sie das Land verlassen musste. ,,Ich liebe mein Land, ich bin nur wegen meines Mannes hier.'' Wie viele der Frauen, die sich in dieser abweisenden, fremden, deutschen Welt kaum auf die Straße trauen, ist sie ausschließlich mit sich und ihrer Familie beschäftigt. Hört den ganzen Tag in sich hinein, denkt über ihre Probleme nach und hat längst ganz nah am Wasser gebaut. Sobald sie über ihre Situation spricht, rollen die Tränen, aus Angst vor der Abschiebung genauso wie vor Heimweh. ,,Ich wünsche mir doch nur ein einfaches Leben in Deutschland. Am meisten vermisse ich meine Eltern.'' Wenn sie das Heim verlässt spürt sie Feindseligkeit, nervös und verängstigt wie sie mittlerweile ist, vielleicht manchmal sogar ohne Grund. Aber bestimmt nicht immer: ,,Ich bin doch ein Mensch'', sagt sie und versteht die Haltung vieler Deutscher überhaupt nicht. Sie ist nicht die einzige unter den Asylbewerberinnen, die auf der Straße beschimpft worden ist, nur unter den wachen Augen einer Verkäuferin durch den Supermarkt schlendern kann, in dem sie von den wenigen Mark Taschengeld sowieso so gut wie nichts kaufen kann. Eine Freundin, mit der sie reden und bei der sie sich ausweinen kann, hat sie nicht gefunden. Nicht immer schmiedet gleiches Leid die Menschen zusammen. Seit fast vier Jahren ist eine junge Familie aus dem ehemaligen Zaire in Plauen. In wenigen Tagen kommt das zweite Baby zur Welt. Sie scheinen sich mit den täglichen Problemen im Asylheim längst abgefunden zu haben. ,,Wenn wir Pampers für das Baby brauchen, müssen wir alle auf Kosmetik - Shampoo oder Hautcreme - verzichten.'' Die Versorgung von Asylbewerbern läuft in Sachsen - im Gegensatz zu einigen anderen Bundesländern - streng nach dem Sachleistungsprinzip. Das heißt in Plauen: ,,Einkaufen'' kann man nur im so genannten Magazin. Doch das funktioniert nicht so, wie es wünschenswert wäre. Mal gibt es kein Brot mehr, mal kein Mineralwasser, oder Obst und Gemüse sind nicht mehr frisch. Da nur dreimal in der Woche geöffnet ist, und der Weg in den nächsten Supermarkt sich von selbst verbietet - weil es dort Ware nur gegen Geld gibt - muss man halt sehen, wo man in den nächsten Tagen bleibt. ,,Wir warten jeden Tag, haben Hoffnung bleiben zu können, aber wir bekommen keine richtige Antwort.'' Als Armeeoffizier musste der Familienvater beim Machtwechsel in Kinshasa das Land verlassen. ,,Wir hatten keine Chance mehr, dort zu überleben.'' An eine Rückkehr ist - vorerst jedenfalls - nicht zu denken. Dennoch geht es der Familie in Plauen deutlich besser als anderen. Als Protestanten haben sie in der Luthergemeinde Freunde gefunden, können wenigsten ab und zu dem tristen Heimalltag entfliehen. Nur wenige Asylbewerber sprechen gut Deutsch. Zu ihnen gehört eine junge Christin aus dem Iran. ,,Alle Leute hier haben die Schnauze voll. Ich muss Beruhigungstabletten nehmen. Für mich gibt es nur noch Probleme, ich kann sie nicht einmal für ein, zwei Stunden vergessen.'' Selbst die Lehrer ihres Sohnes, der in Plauen zur Schule geht, haben schon versucht, ihr und ihrer Familie zu einer eigenen Wohnung zu verhelfen. Der Junge geht jeden Abend gegen 19 Uhr zu Bett. Doch schlafen kann er in dem Lärm von Menschen und überall dröhnenden Fernsehgeräten nicht. In der Schule ist er übermüdet, die Konzentration fällt ihm schwer. Seit 1996 sind sie in Plauen, wird das Leben der Familie vom Rhythmus des Heimes bestimmt. Ihr Mann hat jetzt wenigestens eine auf vier Stunden am Tag befristete Arbeitserlaubnis, kann manchmal an einem Imbiss aushelfen und so der Tristesse des Heimes entfliehen. ,,Ich habe Angst vor der Zukunft, vor der Abschiebung. Es werden keine Entscheidungen getroffen, es kommen keine Antworten auf unsere Gesuche, und dabei wartet man jeden Tag.'' Gerüchte - wie zum Beispiel, alle Asylbewerber, die 1996 nach Deutschland gekommen sind, werden abgeschoben - machen die Situation noch unerträglicher. Vernuft-Argumente finden da kaum noch Gehör, und Beschwichtigungen schon gar nicht. Dabei hat sie noch ihre Familie. Die etwa 50-jährige türkische Kurdin von nebenan ist ganz allein. Sie will zu ihren Söhnen und ihren Brüdern. Doch die sind in Asylbewerberheimen in Westdeutschland. ,,Wir sind wie Geiseln hier'', sagt sie. ,,Warum geht man mit uns so um, wir sind doch Menschen.'' Sie fühlt sich Vorschriften und Gesetzen ausgeliefert, die sie nicht versteht, und die ihr auch keine Behörde erklärt. So geht es auch der Mutter aus Afghanistan. Mit ihren sieben Kindern zwischen vier und 15 Jahren lebt sie in einem Zimmer. Als die Taliban die Macht in Kabul ergriffen, musste ihr Mann der Pilot bei der Luftwaffe war, das Land verlassen. Er ist als Asylant anerkannt, lebt - davon träumen alle in den Asylheimen - ,,mit Pass'' in Hamburg, hat Arbeit. Seit die Schule, in der sie gearbeitet hatte, bombardiert wurde, hatte die Lehrerin keine Arbeit mehr. Der Mann in Deutschland, der Schwiegervater ermordet, geriet sie in zunehmendem Maße unter Druck der Taliban. ,,Afghanistan war zu gefährlich für mich und meine Kinder'', sagt sie lapidar. Auf die Frage, wie sie es - vor allem finanziell - geschafft hat, die abenteuerliche Reise auf illegalen Wegen nach Deutschland anzutreten, lächelt sie fast. ,,Die Deutschen denken immer, wir hätten zu Hause nichts gehabt.'' Sie hat die Wohnung und das Auto verkauft, und dann war da ja auch noch die Familie, die nicht am Hungertuch nagt. Seit elf Monaten ist sie nun in Plauen. Doch nach Hamburg zu ihrem Mann kann sie trotzdem nicht - jedenfalls nicht gleich. Aus einem Schreiben des Verwaltungsgerichts Chemnitz geht hervor, dass die Heiratsurkunde noch nicht vorgelegt wurde. Die Ehe ,,dürfte damit nicht hinreichend nachgewiesen sein'', wie es im Juristendeutsch heißt. Mittlerweile hat der Anwalt der Familie die Urkunde nachgereicht, es herrscht das Prinzip Hoffnung. Und: ,,Wenn es keinen Krieg und keine Taliban mehr gibt, gehen wir wieder zurück.'' Bleiben die jungen Männer, die bei schönem Wetter in der Stadt auf Bänken sitzen und versuchen, den Tag rumzukriegen. ,,Ich möchte in Deutschland mein Archäologiestudium beenden'', sagt ein junger Mann, auch er kommt aus dem Iran. Auf dem Tisch liegen Wörterbücher und Fachzeitschriften aus der Bibliothek. Prinzip Hoffnung, aber so richtig glaubt er nicht daran, bleiben zu können, es sei denn, er findet eine Frau und kann sie heiraten. Er lebt mit drei anderen Junggesellen in einem Raum. Zerstreuung bietet allenfalls der Fernseher, alles andere kostet Geld. Wer raucht, hat schon schlechte Karten, von 70 Mark im Monat kann man nicht allzu viele Zigaretten kaufen. ,,Die klauen dann auch manchmal'', erzählt er und ist froh, dass er nie geraucht hat. ,,Wer zwei oder drei Jahre im Heim lebt, wird verrückt: keine Beschäftigung, keine Arbeit, keinen Kontakt, kein Geld, keine Ruhe, keine Privatsphäre, keine Zukunft.'' |