junge Welt, 25.1.2000 »Partei Gottes« auf dem Index Ankara entledigt sich seiner islamischen Hilfstruppen. Droht Türkei zweiter Susurluk-Skandal? Das Grauen will nicht enden. Täglich warten türkische TV- Sender mit neuen Bildern von getöteten Opfern der Hizbullah, der »Partei Gottes«, auf. Seit Sicherheitskräfte in Istanbul vor gut einer Woche einen Schlupfwinkel der Bande ausgehoben haben, sind es bereits 31. Die Opfer wurden verschleppt, an geheimen Orten gefoltert und getötet, einige lebendig begraben. Fieberhaft wird im ganzen Land nach weiteren Leichen gesucht. Es wird von tausend Menschen gesprochen, die die Hizbullah bestialisch ermordet haben soll. Allein seit August letzten Jahres sollen 200 Geschäftsleute aus den kurdischen Provinzen verschwunden sein. Während die zuständigen Behörden die Festnahme von rund 200 Mitgliedern der Hizbullah verkünden, stellt sich die Frage nach der Verantwortung des Staates für das blutige Treiben der Untergrundgruppe, die wohl mehr von krimineller Energie als von religiösem Eifer getrieben wurde. Damit könnte der Türkei ein zweiter Susurluk-Skandal bevorstehen. Im Jahre 1996 war durch einen Verkehrsunfall auf der Landstraße von Izmir nach Bursa bei Susurluk die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Sicherheitskräften, Konterguerilla und Drogen-Mafia in die Schlagzeilen geraten. In vorauseilender Rechtfertigung verkündete jetzt der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit, er halte eine Infiltration von Anhängern der Hizbullah in staatliche Institutionen für möglich. Einer der Festgenommenen arbeitete immerhin in seinem Amt als Computer-Experte. Tatsächlich hat aber eher der türkische Staat die Hizbullah infiltriert und nicht umgekehrt. Die Organisation, die keine Verbindungen zur »Partei Gottes« im Libanon hat, entstand vermutlich Mitte der achtziger Jahre als religiöse Abspaltung der faschistischen »Grauen Wölfe«. Spätestens seit 1991 wird die Hizbullah als Konterguerilla im Kampf gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die legale kurdische Opposition eingesetzt. Angeleitet und ausgebildet wurden die Terrorkommandos vom Geheimdienst der Gendarmerie JITEM, der wiederum direkt der »Kommandantur für besondere Streitkräfte« (ÖKK) untersteht. Die ÖKK ist Nachfolgerin des »Amtes für besondere Kriegführung«, das seit 1953 als türkischer Teil der »GLADIO«-Strukturen von der NATO für den antikommunistischen Terror aufgebaut worden war. Allein von 1991 bis 1994 werden der Hizbullah in den kurdischen Provinzen Hunderte Morde zugeschrieben. Daneben beteiligte sich die Bande unter der Schirmherrschaft des JITEM am Drogen- und Waffenhandel. An wirklicher Aufklärung war den Sicherheitsbehörden in Ankara allerdings bis heute wenig gelegen. So wurden Journalisten, die versucht hatten, den staatlichen Hintergrund der auch »Hizb-i Konter« genannten Bande zu recherchieren, selbst Opfer extralegaler Hinrichtungen. Nun bläst Ankara zum Sturm auf seine Hilfstruppe, die seit einer Spaltung im Jahre 1993 auch gegen ehemalige Mitstreiter vorging und zunehmend in die eigene Tasche wirtschaftete. Nach dem Ende des bewaffneten Kampfes der PKK und nach Aufnahme der Türkei in die Liste der EU- Beitrittskandidaten wirkt die religiöse staatliche Terrortruppe antiquiert. Schon bei der Auftaktaktion zum großen Reinemachen in Istanbul töteten Scharfschützen den Kopf der Organisation, Hüseyin Velioglu - und damit einen wichtigen Zeugen, der sicher einiges über die Hintermänner des Mordens hätte berichten können. Jörg Hilbert
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