Frankfurter Rundschau, 25.1.2000 Schatten der Hisbollah fallen auf die Armee Ankaras Generäle bestreiten Verbindung zu Morden der islamischen Extremisten Von Claudia Steiner (Istanbul/dpa) Eine unglaublich grausame und rätselhafte Mordserie der islamischen Terrororganisation Hisbollah erschüttert die Türkei. "Überall sind Leichen", schreibt die türkische Zeitung Radikal am Montag. "Tage des Schreckens", heißt es bei Milliyet. Am Montag wurden zwei weitere Leichen gefunden, so dass die Gesamtzahl der bisher entdeckten Opfer bei inzwischen 33 liegt. Die Polizei rechnet Zeitungsberichten zufolge damit, dass noch mindestens 60 mutmaßliche Opfer der islamischen Extremisten-Organisation hinzukommen könnten. Die Ermittler werden von gefassten Hisbollah-Anhängern zu immer mehr "Friedhofshäusern" geführt. Mit Baggern und Schaufeln sucht die Polizei unter den entsetzten Blicken der Nachbarn in verschiedenen Städten nach weiteren Opfern. Im Südosten des Landes wurde die Suche am Montag zeitweise unterbrochen. Auf Grund der heftigen Schneefälle konnten die Ermittler und festgenommene Hisbollah-Anhänger nicht zu neuen Fundorten geflogen werden. Die türkischen Medien berichten unterdessen immer mehr Details der grausamen Morde. Fotos der gekrümmten und zum Teil bereits stark verwesten Leichen werden gezeigt und die Foltermethoden dargestellt. Demnach waren die meist nackten Leichen mit einem einzigen Seil an Kopf, Füßen und Händen gefesselt worden und strangulierten sich so vermutlich selbst. Die Folterer hatten die Verhöre und die Morde zum Teil auf Video aufgenommen. Offenbar plünderten die Täter teilweise auch die Bankkonten ihrer Opfer. Bei den Toten handelt es sich meist um Geschäftsleute, die einen moderaten Islam vertreten haben sollen. Auch die feministische Schriftstellerin Konca Kuris lag auf dieser Linie. Die fünffache Mutter hatte unter anderem gefordert, dass Männer und Frauen zusammen beten dürfen sollen. Die Leiche der vor eineinhalb Jahren entführten Autorin war vor wenigen Tagen in Konya ausgegraben worden. Die eigentlichen Hintergründe der grausamen Morde und der Auswahl der Opfer sind jedoch weiter völlig unklar. Und so halten Spekulationen an, ob und in welcher Art der türkische Staat die Hisbollah unterstützt haben könnte. Der türkische Generalstab wies bereits Berichte über mögliche Verbindungen der Armee zu den Islamisten als haltlos zurück. Überwiegend von islamischen Zeitungen war der Verdacht erhoben worden, dass die seit Jahren gegen islamische Extremisten kämpfende Armee die Hisbollah geschont haben könnte, um sich deren Kampf gegen die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu Nutze zu machen. Auch Staatspräsident Süleyman Demirel bestritt, dass der Staat die Hisbollah im Kampf gegen die PKK eingespannt habe. Allerdings sei es möglich, dass staatliche Kräfte illegal gehandelt hätten, sagte er nach Agenturangaben. Die in den 80er Jahren gegründete Hisbollah soll nicht in Verbindung zu den gleichnamigen Untergrundgruppen in Iran oder Libanon stehen. Anfang vergangener Woche war ihr Anführer Huseyin Velioglu bei einer Schießerei mit Polizisten in Istanbul getötet worden.
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