Frankfurter Rundschau, 29.1.2000 Jetzt braucht Ankara die Hisbollah nicht mehr Lässt türkischer Staat einst gehätschelte Islamisten nach Niederlage der PKK fallen? Von Selcan Hacaoglu (Ankara/ap) Seit fast zehn Jahren terrorisieren militante Islamisten Kurden im Südosten der Türkei. Sie töten ihre Feinde mit einem Kopfschuss oder mit dem Schnitt einer langen Klinge, die das "Schwert des Islams" genannt wird. Die Polizei geht nun hart gegen die militanten Hisbollah-Kämpfer vor, hat bisher 700 Verdächtige in Gewahrsam genommen und legt Kerker, Folterzellen sowie große Waffenlager frei. Doch die Aktion wirft erneut die Frage auf, ob der Staat bei der Gründung der Gruppe behilflich war. Denn in der Vergangenheit wurde die Hisbollah nicht verfolgt, obwohl sie zahlreiche Menschen tötete und folterte, unter ihnen wohl einige hundert Rebellen der PKK. Kommentatoren und einige Politiker wiesen in der vergangenen Woche darauf hin, dass das harte Vorgehen des Staates gegen die Hisbollah genau mit dem weitgehenden Sieg über die kurdische Arbeiterpartei PKK zusammentreffe. Deren Führer Abdullah Öcalan wurde im Juni zum Tode verurteilt. Nun sei die Hisbollah im Kampf gegen die PKK überflüssig. "Die Hisbollah hat ihre Mission erfüllt", sagte Faik Bulut, ein Experte für islamische Terrorgruppen. "Sie ist ausgequetscht worden wie eine Zitrone." Die Hisbollah, die nichts mit der gleichnamigen proiranischen Vereinigung in Libanon zu tun hat, wurde Anfang der 80er Jahre in Diyarbakir gegründet. Damals erstarkte gerade die PKK in den umliegenden Gebieten. Die Hisbollah kämpft für einen eigenen islamischen Staat im überwiegend kurdisch besiedelten Südosten der Türkei. Laut einem militärischen Geheimbericht soll die Organisation 500 kurdische Aktivisten getötet haben und wird für weitere 5000 mysteriöse Morde verantwortlich gemacht. Das türkische Militär bestreitet jede Verbindung zu den militanten Islamisten. Trotzdem verstummen die Gerüchte nicht, dass örtliche Politiker, Polizei und paramilitärische Kräfte die Organisation unterstützten, die niemals einen Anschlag auf Armee oder Polizei verübte. "Es ist für eine Organisation unmöglich, Dinge zu tun, wie sie die Hisbollah getan hat, ohne mit Verrätern im Staatsapparat zusammenzuarbeiten", sagte Mesut Yilmaz, der Führer der Mutterlandspartei. Türkische Offizielle sagen, Iran unterstütze die Hisbollah. Doch Iran hat das bestritten. Der frühere Staatsminister Eyup Asik berichtete 1993, dass er den damaligen Innenminister Ismet Sezgin über Morde der Hisbollah in Batman informiert habe. Die Regierung habe nichts dagegen unternommen. Solche Vorwürfe stehen nicht allein. 1997 kam ein Regierungsbericht zu dem Schluss, dass der Staat mit Hilfe von ultranationalistischen Kämpfern kurdische Rebellen, Journalisten und armenische Kämpfer töten ließ. Die aktuelle Aktion gegen die Hisbollah begann Anfang des Monats, als die Polizei den Führer des militantesten Flügels der Gruppe, Heseyin Velioglu, tötete. Die festgenommenen Aktivisten führten die Beamten zu bisher 33 Leichen von Hisbollah-Opfern. Jetzt setzte die Regierung ein weiteres Signal: Für die Freitagsgebete ordnete sie eine Predigt für Frieden und Toleranz an, in der Gewalt im Namen des Islam verurteilt wird.
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