Neue Züricher Zeitung, 29.1.2000 Der Druck illegaler Einwanderung in Europa Strassburg fordert verbesserte Nord-Süd-Kooperation Im Europarat wird vor einer Unterschätzung des Problems der wachsenden illegalen Einwanderung aus dem südlichen Mittelmeerraum gewarnt. Nord und Süd sollten vermehrt kooperieren. Allein mit Grenzüberwachung und Polizei sei das Problem nicht zu bewältigen. uth. Strassburg, Ende Januar Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat an ihrer Session Ende Januar in Strassburg in einem Bericht die Mitgliedstaaten davor gewarnt, das wachsende Problem der illegalen Einwanderung und das damit verbundene Leid der betroffenen Menschen weiter zu verdrängen. Nur durch eine enge Zusammenarbeit mit den südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers und darüber hinaus im Nord-Süd- Dialog könne eine Milderung der Situation erreicht werden, heisst es in einer in Strassburg verabschiedeten Entschliessung. «Keine Mauer kann hoch genug gebaut werden und kein Graben tief genug sein, um Europa vor dem Ansturm verzweifelter Menschen zu bewahren», wenn die Europäer nicht zu grösserer Zusammenarbeit bereit sind, hatte an gleicher Stelle vor einem Jahrzehnt ein hoher Uno-Repräsentant gewarnt. Wie sehr sich diese Prognose zu bewahrheiten beginnt, nicht zuletzt wegen der in den letzten Jahren sinkenden Entwicklungshilfeleistungen, macht der Europaratsbericht deutlich. Von den vielen tausend Menschen, die illegal und oft erfolglos den Weg nach Europa suchen, wird kaum berichtet. Auch nicht, dass allein an der Strasse von Gibraltar, wo von Afrika aus das vermeintliche Paradies fast in Sichtweite liegt, jährlich mehr als tausend Menschen, fast alle im Alter zwischen 16 und 30 Jahren, den Versuch, das vermeintlich rettende Ufer zu erreichen, mit ihrem Leben bezahlen. Innerhalb von sechs Monaten brachte 1980 die spanische Küstenwache 270 Schiffe mit mehr als 7000 illegalen Immigranten auf, die Italiener weitere 3000, die wenigstens überlebt hatten. Von denen, die Europa erreichten, wurden wiederum allein 40 000 in Deutschland festgenommen. Diese Menschen haben wahrscheinlich trotz ihrer anschliessenden Abschiebung noch das glücklichere Los gezogen als diejenigen, die weiter in der Illegalität leben und meist ein Sklavendasein fristen müssen, weil sie auf Jahre jeden Verdienst an die Menschenschmugglerringe abliefern müssen. Die Tarife für die Einschleusung liegen bei 20 000 Mark. In Spanien wurden 1998 nicht weniger als 81 Schlepperbanden ausgehoben. Eindringlich warnt der Europarat davor, diese Entwicklung in erster Linie mit repressiven Massnahmen und Polizeiarbeit, auch wenn diese grenzüberschreitend noch verbessert werden müsste, zu stoppen. Wie gross das Migrationspotential tatsächlich ist, deutet eine von der Universität in Madrid vorgenommene Studie an, die wie eine erst kürzlich durchgeführte Meinungsumfrage zu dem Ergebnis kommt, dass fast 90 Prozent der jungen Marokkaner ihr Land verlassen wollen, weil sie dort keine Zukunftschancen sehen. Die Europaratsversammlung fordert daher, dass die Mitgliedstaaten die Zusammenarbeit, beginnend vor allem mit den Ländern Nordafrikas, verstärken und über Bemühungen zu mehr Entwicklungsprojekten hinaus auch einige Ventile öffnen sollten. So wird auf die Möglichkeit zeitlich begrenzter oder saisonaler Arbeit von Einwanderern verwiesen.
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