Südwest Presse 31.1.2000

Mördern werden Grenzen gesetzt

Türkei / Hisbollah kämpft für eigenen Staat

Erst jetzt geht Polizei gegen religiöse Extremisten vor

Die türkische Polizei hat am Wochenende die Leichen von sechs weiteren mutmaßlichen Opfern der islamischen Extremistengruppe Hisbollah gefunden. Damit beträgt die Zahl der Opfer jetzt 46.

SELCAN HACAOGLU, AP

Ankara· Seit fast zehn Jahren terrorisieren militante Islamisten Kurden im Südosten der Türkei. Sie töten ihre Feinde mit einem Kopfschuss oder mit dem Schnitt einer langen Klinge, die das ¸¸Schwert des Islams'' genannt wird. Die Polizei geht nun hart gegen die militanten Hisbollah-Kämpfer vor. Doch die Aktion wirft die heikle Frage auf, ob der Staat möglicherweise bei der Gründung der Gruppe behilflich war. Denn in der Vergangenheit wurde die Hisbollah nicht verfolgt, die Tausende Menschen tötete und folterte, unter ihnen Hunderte Rebellen der PKK.

Kommentatoren und auch einige Politiker wiesen darauf hin, dass das harte Vorgehen des Staates gegen die Hisbollah genau mit dem Sieg über die kurdische Arbeiterpartei PKK zusammentreffe. Nun sei die Hisbollah im Kampf gegen die PKK überflüssig. ¸¸Die Hisbollah hat ihre Mission erfüllt'', sagte Faik Bulut, ein Experte für islamische Terrorgruppen. ¸¸Sie ist ausgequetscht worden wie eine Zitrone.'' Die Hisbollah, die nichts mit der proiranischen Vereinigung gleichen Namens im Libanon zu tun hat, wurde Anfang der 80er Jahre in Diyarbakir im Süden des Landes gegründet. Damals erstarkte die PKK.

Die Hisbollah kämpft für einen eigenen islamischen Staat im überwiegend kurdisch besiedelten Südosten des Landes. Laut einem militärischen Geheimbericht soll sie 500 kurdische Aktivisten getötet haben. Sie wird auch für weitere 5000 mysteriöse Morde in der Region verantwortlich gemacht.

Das türkische Militär hat jegliche Verbindung zu den militanten Islamisten dementiert. Doch trotz des Dementis verstummen die Gerüchte nicht, dass örtliche Politiker, Polizei und paramilitärische Kräfte die Organisation unterstützten, die niemals einen Anschlag auf Armee oder Polizei verübte. ¸¸Es ist für eine Organisation unmöglich, Dinge zu tun, wie sie die Hisbollah getan hat, ohne mit Verrätern innerhalb des Staatsapparates zusammenzuarbeiten und von diesen unterstützt zu werden'', sagte Mesut Yilmaz, der Führer der Mutterlandspartei. Offizielle türkische Vertreter sagen, Iran unterstütze die Hisbollah. Doch Iran hat das bestritten.

Der frühere Staatsminister Eyup Asik berichtete 1993, dass er den damaligen Innenminister Ismet Sezgin über Morde der Hisbollah in Batman informiert habe. Die Regierung habe nichts dagegen unternommen. Die Vorwürfe gegen Vertreter des türkischen Staates sind nicht neu. Bereits 1997 kam ein Regierungsbericht zu dem Schluss, dass der Staat mit Hilfe von ultranationalistischen Kämpfern kurdische Rebellen, Journalisten und armenische Kämpfer töten ließ.