Badische Zeitung, 1.2.2000 Die islamische Terrororganisation Hisbollah wurde zeitweise von Polizei und Militär unterstützt / Todesschwadron gegen die PKK Killertruppe versetzt Türkei in Angst und Schrecken Von unserem Mitarbeiter Jürgen Gottschlich ISTANBUL. 46 Leichen und 700 festgenommene Ahänger der Hisbollah sind die vorläufige Bilanz von 14 Tagen des Schreckens in der Türkei. Seit die Polizei in Istanbul am 17. Januar bei einem Feuergefecht mit drei Mitgliedern der islamischen Terrororganisation den Führer der Truppe, Hüseyin Velioglu, erschoss und die beiden anderen Islamisten festnahm, vergeht kein Tag mehr, an dem nicht mehrere Leichen gefunden werden. In sogenannten Totenhäusern der Organisation in Diyarbakir, Konya, Adana und Istanbul hat die Polizei teilweise mehr als zehn Leichen ausgegraben aber auch Waffen und Unterlagen gefunden, die weiteren Aufschluss über die obskure Truppe ergaben. Bei den bislang gefundenen Opfern handelt es sich ganz überwiegend um islamische Geschäftsleute, die von der Hisbollah beraubt wurden. So stieß die Polizei angeblich auf das Hisbollah-Haus in Istanbul, weil sie die Spuren von Kreditkarten zurückverfolgte, die die Hisbollah ihren Opfern abgenommen hatte. Die Ermordeten gehörten mehrheitlich zur moderaten islamischen Nurcu-Sekte. Doch was jetzt wie ein äußerst brutaler Machtkampf innerhalb des islamischen Spektrums erscheint, hatte ursprünglich ganz andere Wurzeln. Der vor zwei Wochen erschossene Hüseyin Velioglu gehörte Anfang der 80er-Jahre zu den Gründern einer Organisation, die in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei einen vom Iran inspirierten Gottesstaat gründen wollte. Velioglu stammt aus Batman, einer Kleinstadt 50 Kilometer östlich von Diyarbakir. Er gehört zum Stamm der Habizbin, die bis heute die treueste Basis der Hisbollah stellen. Als Velioglu in Batman beigesetzt wurde, kam es trotz der landesweiten Empörung über die Killertruppe zu einer Pro-Hisbollah-Demonstration, an der über tausend Menschen teilnahmen. Während die Hisbollah über den Raum Batman hinaus für ihren Gottesstaat kaum Anhänger fand, wurde sie offenbar von Geheimdienst, Polizei und Militär in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre als mögliche Verbündete gegen Öcalans PKK entdeckt. Velioglu und Öcalan haben in den 70er-Jahren an der politikwissenschaftlichen Fakultät der Uni in Ankara studiert. Zehn Jahre später trafen sie als Köpfe konkurrierender Organisationen in den kurdischen Gebieten wieder aufeinander. Diese Situation haben sich offenbar zumindestens örtliche Kommandanten der Gendarmerie und Polizei zunutze gemacht. Die Hisbollah wurde zu einer Todesschwadron im Kampf gegen die PKK, der vermutlich rund 4000 Menschen zum Opfer fielen - örtliche Politiker der Vorläuferparteien der prokurdischen Hadep, kurdische Geschäftsleute und Journalisten, vor allem solche, die sich auf die Spur der Hisbollah machten. In einem Interview mit der Tageszeitung Radikal bestritt Staatspräsident Demirel vehement, dass der Staat die Hisbollah benutzt oder gedeckt habe. Allerdings räumte er ein, dass einzelne Offiziere illegal gehandelt haben könnten. |