junge Welt, 2.2.2000 Gesundheit ist nicht teilbar Niedersachsen: Aufruf von Hilfs- und Ärzteorganisation zur Behandlung von Flüchtlingen In Niedersachsen wollen Flüchtlingsinitiativen und Ärzteorganisationen bei der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen künftig eng zusammen arbeiten. Bei einem Kongreß am Wochenende in Hannover äußerten sich Vertreter der Ärztekammer, der »Demokratischen Ärztinnen und Ärzte«, der Ärztevereinigung zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) sowie des Niedersächsischen Flüchtlingsrates »besorgt« über die bestehenden Schwierigkeiten bei der medizinischen Betreuung von Asylbewerbern. Auf der Konferenz wurde unter anderem vereinbart, eine »breite Öffentlichkeit« mit Plakaten und Flugblättern über das Ausmaß der Probleme zu informieren. Durch das 1993 in Kraft getretene und seitdem mehrfach verschärfte Asylbewerbeleistungsgesetz ist die medizinische Versorgung von Flüchtlingen drastisch eingeschränkt worden. Die betroffenen Flüchtlinge haben nur noch bei akuten oder schmerzhaften Erkrankungen einen Rechtsanspruch auf Behandlung. Überdies werden Ermessensspielräume statt durch medizinisch fachkundiges Personal häufig durch Sachbearbeiter in den Sozialämtern definiert. Nach Angaben von Flüchlingsratssprecher Kai Weber haben Behörden in dem Bundesland im Falle behinderter Flüchtlingskinder wiederholt eine Förderung in Spezialeinrichtungen abgelehnt. Dies habe zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Mädchen und Jungen geführt. Einem Asylbewerber, der durch Mißhandlungen in einem Gefängnis mehrere Knochenbrüche im Gesicht erlitten habe, sei eine von Ärzten für erforderlich gehaltene Operation verweigert worden. Der Landkreis Goslar lehnte die Behandlung eines am Grauen Star erkrankten Kurden ab. Heftige Kritik übten die Ärzte und Flüchtlingsorganisationen auch an der Abschiebung von erkrankten Flüchtlingen. In vielen Fällen seien Asylbewerber abgeschoben worden, obwohl ärztliche Gutachter davon abgeraten hätten, sagte Weber. »Dabei haben die Behörden das Recht auf körperliche Unversehrtheit mißachtet«. In Braunschweig veranlaßte das Ausländeramt im Dezember die Abschiebung eines bulgarischen Flüchtlings, dem Mediziner zuvor Traumatisierungen durch in seiner Heimat erlittene Mißhandlungen sowie Suizidgefährdung bescheinigt hatten. Als sich der Bulgare gegen den Polizeieinsatz wehrte, wurde er von zwei Beamten erschossen. Die Ärztekammer Niedersachsen hatte bereits 1997 einen Beschluß zur Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen gefaßt. Die Kammerversammlung forderte damals ihre Mitglieder auf, Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus durch anonyme und kostenfreie Behandlung zu unterstützen. In Göttingen, Hannover und Oldenburg arbeiten seit einigen Jahren unabhängige Büros, die kranke Flüchtlinge an behandlungsbereite Ärzte vermitteln. Reimar Paul
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