Die Welt, 2.2.2000 Die Türkei sucht Annäherung an die EU Gespräche in Brüssel -Kritik an der Rolle des Militärs sowie an Ankaras Haltung in der Zypern- und der Kurdenfrage Von Andreas Middel Brüssel - Die Türkei hofft, auch ohne tiefgreifende Reformen schon wesentlich früher als bislang angenommen in Beitrittsverhandlungen mit der EU eintreten zu können. Dies wurde beim Besuch des türkischen Außenministers Ismail Cem in Brüssel deutlich. Nach Gesprächen mit EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen erklärte Cem, sein Land habe schon einige Aufgaben erfüllt, die Voraussetzungen für Verhandlungen seien. Im Bereich der Beitrittspartnerschaft und auch beim Abgleichen der rechtlichen Besitzstände in der Türkei und in der EU "befinden wir uns auf dem richtigen Weg". Allzu große Erwartungen hatte Kommissar Verheugen allerdings zuvor gedämpft. Man werde "nicht die schwierigsten Fragen zuerst" verhandeln, betonte Verheugen. Und darunter fällt in jedem Fall auch die Frage nach der Rolle des türkischen Militärs im Falle eines EU-Beitritts der Türkei. Außenminister Cem sieht derzeit jedenfalls keinen Anlaß, in dieser Richtung die türkische Verfassung zu modifizieren. "Die Rolle des Militärs wird überbewertet und überschätzt", sagte er in Brüssel. Außerdem habe es keinerlei Einmischung des Militärs in die Arbeit der Regierung gegeben. Immerhin gestand Cem ein, dass es in der Türkei "Verzögerungen bei der demokratischen Entwicklung" gegeben habe. Doch auch das habe weniger am Bemühen der türkischen Institutionen gelegen, als vielmehr an der exponierten Lage der Türkei als südöstlicher Eckpfeiler der Nato und an "terroristischen Übergriffen", sagte Cem, ohne den Terror weiter zu erläutern. Die in Aussicht gestellte Beteiligung der Türkei an einigen EU-Programmen werden jedoch nach Ansicht des Außenministers die demokratische Entwicklung des Landes beschleunigen. Weniger die Reformen im Innern als vielmehr die positive Entwicklung des Verhältnisses der Türkei zu Griechenland stellte Cem als erfreulichsten Punkt der jüngsten Annäherung an die EU heraus. "Wir haben in den vergangenen sechs Monaten mehr erreicht als in den 40 Jahren zuvor", sagte Cem. Doch in der Frage einer EU-Mitgliedschaft Zyperns beharrte Cem eher auf alten türkischen Positionen. Darüber könne nur entschieden werden, wenn beide Teile der Insel involviert seien. Die türkische Regierung könne die Vertreter des türkischen Teils der Insel nur ermuntern, an den Gesprächen teilzunehmen. "Aber da endet unsere Verantwortung". Mit dieser Einstellung blendet der türkische Außenminister die Schlussfolgerungen der EU-Staats- und Regierungschefs vom Dezembergipfel in Helsinki aus. Dort hatten sich die EU-Oberen darauf geeinigt, Zypern auch dann in die EU aufzunehmen, wenn die Teilung der Insel nicht aufgehoben worden ist. Mit seinen Äußerungen in Brüssel bestätigte der türkische Außenminister Bedenken, die auch eine portugiesische Delegation im Januar nach einer Reise in die Türkei geäußert hatte. Der "eher ernüchternde Bericht" war den EU-Außenministern bei ihrem letzten Treffen vorgelegt worden. Und darin wurde moniert, dass die Regierung in Ankara nach wie vor versuche, die Teilung der Insel zu instrumentalisieren. Letztlich, so wird das Verhalten der Türkei interpretiert, will Ankara den Beitritt der Insel blockieren, wenn es keine Fortschritte von Seiten der EU gegenüber der Türkei gebe. Ein weiterer Kritik-Punkt der portugiesischen Delegation ist das Verhalten der türkischen Institutionen gegenüber den Kurden. Diese würden nach wie vor nur als Volksgruppe bezeichnet, aber noch längst nicht als Minderheiten anerkannt. Selbst die von Außenminister Cem unmittelbar nach dem Helsinki-Gipfel angekündigte Lockerung des Verbots von kurdisch-sprachigen Radio-Sendern und Fernsehprogrammen sei noch nicht einmal in Ansätzen umgesetzt. Eine Änderung der entsprechenden Mediengesetze steht noch aus. Und angesichts der innenpolitischen Brisanz des Themas rechnet man in Brüssel auch nicht damit, dass "dies schon morgen geschieht".
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