junge Welt, 4.2.2000 Hilfsbereite Pfarrer vor Gericht Kirchenasyl für Flüchtlingsfamilie: Landtagsabgeordnete will als Zeugin aussagen Weil sie einer achtköpfigen pakistanischen Flüchtlingsfamilie seit über drei Jahren in ihrer Kirchengemeinde Asyl gewähren, mußten sich ein Pastor und eine Pastorin am Dienstag dieser Woche erstmals vor dem Braunschweiger Amtsgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft Sabine Dreßler- Kromminga und Klaus Kuhlmann von der evangelisch- reformierten Gemeinde gemeinschaftlichen Verstoß gegen das Ausländergesetz vor. Gegen Strafbefehle der Behörde in Höhe von jeweils 6 000 Mark hatten die Pfarrer Widerspruch eingelegt. Der Versuch von Amtsrichter Jochen Lippmann, das Verfahren bereits am ersten Verhandlungstag wegen geringer Schuld der Angeklagten einzustellen, scheiterte am Veto des Staatsanwalts. Für die beiden Theologen und ihre Anwälte ist das Kirchenasyl für die Familie ein »Akt der Nothilfe«, um Zeit für politische Entscheidungen zu schaffen. Die Pastoren betonten, sie hätten dabei stets in Abstimmung mit der Braunschweiger Ausländerbehörde gehandelt, Gespräche mit der Polizei und dem niedersächsischen Innenministerium geführt und sogar den damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski persönlich über das Kirchenasyl informiert. Außerdem legten sie einen Brief vor, in dem sich 1996 der damalige Landtagsabgeordnete und jetzige Ministerpräsident Sigmar Gabriel für die Familie einsetzte, als ihr die Abschiebung drohte. Die Flüchtlinge, die der in Pakistan verfolgten Religionsgemeinschaft der Ahmadyya-Muslime angehören, hatten sich nach der rechtskräftigen Ablehnung ihres Asylantrags zunächst mit einer Petition an den Landtag gewandt. Das Parlament lehnte jedoch mit den Stimmen von SPD und CDU ein vorläufiges Bleiberecht ab. Im Kirchenasyl stellte die Familie einen Ausreiseantrag nach Kanada, wo weitere Verwandte leben. Die kanadische Botschaft lud die Flüchtlinge inzwischen zu einem Gespräch ein. Im Fall einer Abschiebung in ihr Heimatland befürchten die Pakistani Repressalien bis hin zur Todesstrafe. Amtsrichter Lippmann sagte im Prozeß, es sei »merkwürdig«, daß von seiten des Staates nichts gegen das Kirchenasyl unternommen worden sei. Nach nur zwei Stunden unterbrach er die Verhandlung, um noch einige Zeugen zu laden. Als Zeugin hat sich auch die Grünen- Landtagsabgeordnete Silke Stokar angeboten. Sie wies darauf hin, daß Kirchenasyle in Niedersachsen keine Ausnahme sind. Der Landtag habe allein seit 1998 vierzehnmal über das Thema diskutiert. Sie wolle dem Gericht jetzt eine Auflistung und Protokolle dieser Debatten als »Anstiftung zum Nachdenken« zukommen lassen, so Stokar. Reimar Paul
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