Salzburger Nachrichten, 5.2.2000 Gemischte Gefühle in der Türkei Europa vor "Auferstehung seines alten Übels" - Auch Besorgnis über harten Kurs der EU THOMAS SEIBERT ISTANBUL (SN, AFP). Selbst die alte europäische Angst vor dem Ansturm der Türken werde nun relativiert, kommentierte der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit die internationale Debatte um die neue Koalition in Österreich - in Anspielung auf die türkische Belagerung Wiens vor 300 Jahren. "Europa fürchtet jetzt vielmehr die Auferstehung seines alten Übels, des Rassismus", sagte Ecevit. Das Außenministerium in Ankara betonte mit Verweis auf die starke türkische Minderheit in Europa, es warne schon lange vor dem Erstarken von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit auf dem Kontinent und verfolge die Ereignisse in Österreich sehr genau. Dennoch stößt das Vorgehen der EU-Länder gegen eine Beteiligung der FPÖ an der österreichischen Regierung in der Türkei nicht nur auf Genugtuung, sondern auch auf Besorgnis. Die Isolation Wiens zeige, dass innere Angelegenheiten in Europa nicht mehr vor einem Einschreiten von außen sicher seien, kommentierte die Zeitung "Milliyet". Angesichts ihrer eigenen EU-Kandidatur müsse die Türkei überlegen, wie sie selbst auf solche Ratschläge und Warnungen reagieren würde. Forderungen der europäischen Staaten etwa zum Umgang des türkischen Staates mit seiner kurdischen Minderheit hatte Ankara stets als Einmischung zurückgewiesen. Deshalb müsse die Türkei mit Applaus für den EU-Vorstoß gegen die FPÖ sehr vorsichtig sein, rieten mehrere Zeitungen. Zudem ist auch in Ankara eine rechtsradikale Partei mit an der Regierung, die Partei des Nationalen Aufbruchs (MHP). Wenn es nun offizielle EU-Politik sei, rechtsextreme Parteien nicht an der Regierungsmacht zu dulden, "muss dann die EU nicht auch in der Türkei gegen solche Gruppierungen und Bewegungen vorgehen?" fragt der angesehene Kolumnist Sami Kohen. Zugleich wird der EU-Vorstoß in kemalistischen Kreisen aber auch als Rechtfertigung des eigenen Vorgehens gegen islamistischfundamentalistische Parteien und Bewegungen in der Türkei bewertet. Während Europa aus historischen Gründen beim Rassismus die Grenzen der Demokratie ziehen müsse, sei dies in der Türkei eben beim Fundamentalismus der Fall, argumentiert "Milliyet". All diese Bedenken können die Türken in der internationalen Debatte um das Geschehen zwischen Wien und Brüssel aber nicht auf die Seite von FPÖ-Chef Haider ziehen. Denn der ist in der Türkei außer für seine umstrittenen Sprüche vor allem dafür bekannt, dass er sich gegen die Erweiterung der EU stark macht. Und bei aller Angst vor einer Einmischung der Europäer in ihre Angelegenheiten überwiegt in der Türkei noch immer der Wunsch, der Union einmal als Vollmitglied anzugehören.
|