Süddeutsche Zeitung, 5.2.2000 "Wir haben schlimme Dinge erlebt" Von Peter Richter AUGSBURG - Seit fast 1900 Jahren leben Christen im Tur Abdin, einer Region im Südosten der Türkei. Im Laufe der Geschichte wurden sie immer wieder verfolgt. Vielen blieb nur die Auswanderung. Das hat in den vergangenen 30 Jahren dazu geführt, dass die syrisch-orthodoxe Kirche in ihrem Ursprungsgebiet ums Überleben kämpft. 1963 lebten noch 350 christlichen Familien in Enhil. 1994 waren es nur noch acht Familien mit insgesamt 17 Personen. Angesichts von Repressalien und Verfolgungsind in den letzten Jahren mehr als 2000 Christen in die USA und in westeuropäische Länder geflüchtet. In ihr Heimatland wollte das Ehepaar Hanna und Terzo Akgüc nie mehr zurück. "Wir wollen lieber sterben als noch einmal in die Türkei", hatten beide erklärt. Ihr Dorf, in dem sie als wohlhabende Weinbauern gelebt hatten, war einst ein Zentrum der syrisch-orthodoxen Christen. Doch im Bürgerkrieg zwischen Türken und Kurden wurde die christliche Minderheit buchstäblich aufgerieben. "Wir haben schreckliche Dinge erlebt", sagt Hanna Akgüc. Das Eingesperrtsein, die räumliche Enge und der triste Alltag im Kirchenasyl hatten zuletzt besonders dem Familienvater zugesetzt. "Die Leute drohen in Depressionen zu versinken, ich möchte Sie dringend um Menschlichkeit bitten", hatte der Hausarzt des Pfarrers an den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog und an Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber geschrieben. Das war Ende 1995. Doch der Arzt bekam nur ein formales Antwortschreiben eines Referenten. "Da war in keinem Satz eine menschliche Äußerung zu erkennen", klagte verbittert Pfarrer Siegfried Fleiner. Die beiden christlichen Kirchen haben sich dagegen sehr für eine menschliche Lösung des Augsburger Kirchenasyls eingesetzt. Namentlich erwähnt Fleiner den Augsburger Bischof Viktor Josef Dammertz und den evangelischen Regionaldekan Ernst Öffner. Dammertz hatte vor zwei Jahren aus Solidarität mit der Gemeinde und den fünf Asylbewerbern einen Gottesdienst in ihrer Kirche gehalten. Im Raum Augsburg leben heute etwa 2400 der rund 7000 syrisch-orthodoxen Christen in Bayern. Vor zwei Jahren wurde hier die erste syrisch-orthodoxe Kirche im Freistaat eingeweiht. Rund 90 Prozent der Kirchenmitglieder sind nach Angaben des Augsburger Kirchenrates Daniyel Akgüc, einem Bruder von Hanna, heute deutsche Staatsbürger. Wie Akgüc waren die ersten als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen.
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