Berner Zeitung, 8.2.2000
Asylpolitik
Massive Kritik an Grossrat Schürch
Jean-Daniel Gerber, Chef des Bundesamts für Flüchtlinge (BFF),
kritisiert den FDP-Grossrat Jürg Schürch wegen «nationalsozialistischer
Wortwahl». Schürch empfindet dies als «absolute Frechheit».
*Theres Lagler
Der Huttwiler Grossrat Jürg Schürch holte letzte Woche zu
einem verbalen Rundumschlag gegen die schweizerische Asylpolitik aus:Dabei
traf er nicht nur mehrere Bevölkerungsgruppen aus fremden Ländern,
sondern auch die Beamten des Bundesamts für Flüchtlinge (BFF).
Diese seien die trägsten Typen, die er kenne, schimpfte Schürch.
Und er empfahl ihnen, «einmal den Finger herauszunehmen».
Sie seien schliesslich für ihre Arbeit bezahlt.
Offener Brief
Diese Beleidigung liess Jean-Daniel Gerber, Vorsteher des Bundesamts
für Flüchtlinge, nicht auf sich sitzen. Er reagierte gestern
mit einem offenen Brief (siehe Bild) an FDP-Grossrat Jürg Schürch.
Gerber kritisiert darin Schürchs Wortwahl, die an das Vokabular
der Nationalsozialisten erinnere und eines Grossrats unwürdig sei.
Gleichzeitig fordert er Schürch zu einem Besuch des BFF auf, um
einen Einblick in die dortige Arbeit zu gewinnen. «Vielleicht
hätten Sie nach einem solchen Gespräch sogar den Grossmut
sich zu entschuldigen», so Gerber wörtlich.
Antirassismus-Norm
BFF-Sprecher Roger Schneeberger erklärte auf Anfrage, dass das
Amt nicht abgeklärt habe, ob Schürchs Äusserungen die
Antirassismus-Norm verletzen würden. «Wenn aber BFF-Mitarbeiter
auf diese Weise öffentlich angegriffen werden, gehört es zum
Job des Chefs, die Mitarbeiter in Schutz zu nehmen», so Schneeberger.
Aufgestossen sei auch Schürchs Idee, die kriminellen Asylbewerber
einfach in einer Militärkaverne zusammenzu-pferchen. Es sei das
erste Mal, dass der Amtsvorsteher des BFF mit einem offenen Brief auf
solche Äusserungen eines Politikers reagiere.
«Absolute Frechheit»
Jürg Schürch selber will von dieser Kritik nichts wissen.
Er habe in der Asyldebatte zwar hart argumentiert. «Dass ich mit
einem Nationalsozialisten ver-glichen werde, ist aber eine absolute
Frechheit und entbehrt jeglicher Grundlage.» So steht es wörtlich
in der schriftlichen Stellungnahme des Huttwiler Gross-rats. Schürch
betont, dass er sich beispielsweise anfangs der 90er-Jahre so lange
für eine Kurdin eingesetzt habe, bis sie in der Schweiz bleiben
konnte. Die Situation im Asylwesen habe sich aber seither verschärft,
und nun verstecke sich das BFF «hinter so genannt gültigen
Gesetzen, die total realtitätsfremd und ineffizient sind»,
so Schürch. Und weiter: Er überlege sich einen Parteiübertritt
zu derjenigen Partei, die die Probleme beim Namen nenne und beim Volk
ankomme, zu der SVP.
FDP im Clinch
Dies könnte seiner Partei durchaus gelegen kommen. FDP-Fraktionschef
Rolf Portmann erklärte zwar auf Anfrage, dass er es nicht schätze,
wenn sich Behördenmitglieder mit einem offenen Brief in die Politik
einmischten. Auch wenn er in diesem Falle Verständnis habe für
BFF-Chef Gerber. Ein gemeinsames Gespräch sei hier für beide
Seiten wichtig. Es sei sogar denkbar, dass Mitglieder der Fraktion oder
der Parteileitung Schürch bei diesem Besuch begleiten würden,
so Portmann. Doch dieser will vorerst nichts davon wissen. Er komme
nicht extra nach Bern, das bringe ihm nichts, erklärte Schürch
der BZ. Was einer Gesprächsverweigerung gleichkommt.
Kein Parteiausschluss
Ein Parteiausschluss-Verfahren ist für FDP-Kantonalpräsident
Peter Rychiger trotzdem kein Thema. Zunehmend Mühe mache ihm aber
der rohe Politstil. Wenn die FDP nicht zur sachlichen Auseinandersetzung
zurückfinde, wäre er der falsche Mann an der Spitze einer
solchen Partei, und spielte damit auf die nächsten parteiinternen
Wahlen an.
|