Frankfurter Rundschau, 10.2.2000 Begrenzter Rückhalt für ausländische Extremisten Mehr Straftaten / Islamisten bald stärker / Reaktion auf Ausländerfeindlichkeit Von Wolfgang Harms (dpa) WIESBADEN. Ausländische Extremisten haben sich 1999 in Hessen wieder stärker bemerkbar gemacht: Nach Jahren stetigen Rückgangs hat sich die Zahl der von Ausländern verübten Straftaten mit politischem Hintergrund von 86 im Jahr 1998 fast verdoppelt, wie Experten des Landeskriminalamts (LKA) erwarten. Sie sehen darin jedoch einen statistischen Ausreißer, den allein die vielen Strafverfahren gegen Kurden wegen der Besetzung der griechischen und kenianischen Generalkonsulate im Februar 1999 verursacht haben. Insgesamt bewerten sie die Szene als stabil - und gefährlich. Gewaltausbrüche seien jederzeit möglich. Das Landesamt für Verfassungsschutz schätzt das Potenzial extremistischer Ausländergruppen in Hessen auf etwa 5100 Personen - nicht einmal ein Prozent der 734 000 in Hessen lebenden Ausländer, allerdings mit steigender Tendenz. In der Regel arbeiten die Organisationen eher auf den Umsturz in ihren Heimatländern hin, als dass sie die politische Ordnung der Bundesrepublik ändern wollen. Ihre Konflikte tragen sie untereinander bisweilen auch in Deutschland aus. Gut die Hälfte des extremistischen Potenzials gehört nach Einschätzung des hessischen Verfassungsschutzes zu islamistischen Organisationen, deren größte die türkische "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) ist. Sie verfolgt ihre Ziele jedoch auf politischem Weg; anders als etwa die verbotene Kurden-Organisation PKK (in Hessen etwa 1000 Mitglieder) und die verbotenen linksextremistischen türkischen Gruppen DHKP-C und THKP-C, Abspaltungen der früheren Dev Sol. Beide kommen in Hessen auf rund 600 Mitglieder. Gruppen aus anderen Ländern fallen kaum ins Gewicht. In der Kriminalstatistik traten ausländische Extremisten 1998 vor allem mit Sachbeschädigungen und Verstößen gegen die Betätigungs-Verbote hervor. Insbesondere PKK-Anhänger gründen immer wieder neue Tarnvereine. Die mitunter blutigen Flügelkämpfe unter den verfeindeten Dev-Sol-Splittern - in Frankfurt hatte es 1997 eine Schießerei gegeben - gehören nach Einschätzung der LKA- Experten der Vergangenheit an. Insgesamt arrangierten sich die verfeindeten Gruppen und gingen sich aus dem Weg. Allerdings sind gerade PKK-Leute und Linksextremisten nach Erkenntnissen der Staatsschützer gut bewaffnet und gewaltbereit. Die Situation könne jederzeit und ohne Vorwarnung eskalieren, wenn Ereignisse wie die mögliche Hinrichtung des Kurdenführers Öcalan oder eine der häufigen Gefängnisrevolten in der Türkei den Zündfunken lieferten. Das kriminelle Hauptbetätigungsfeld ausländischer Extremisten bleibt von der Statistik so gut wie unerfasst: Viele erpressen von ihren Landsleuten "Spenden". In der Regel verlangen sie zehn bis 15 Prozent des Einkommens. Kaum ein Opfer geht zur Polizei, oft dienen die Verwandten im Heimatland als Druckmittel. "Wenn jemand nicht zahlt, bekommt er eben vier Wochen später einen Brief aus der Türkei, dass der Ziegenstall vom Onkel abgebrannt ist", erklärt ein Staatsschützer vom LKA. Solche Praktiken sind Ursache dafür, dass sich der Rückhalt für extremistische Gruppen in Grenzen hält. "In den linken Splittergruppen sehen die meisten türkischen Mitbürger selbst eine Gefahr", sagt Verfassungsschutz-Chef Lutz Irrgang. Zulauf erwartet der hessische Verfassungsschutz-Chef für die islamistischen Gruppen. Unter den türkischen Jugendlichen in Deutschland sieht er ein neues Potenzial heranwachsen: Geprägt von der ausländerfeindlichen Welle in den Jahren 1992 bis 1994, betroffen von hoher Arbeitslosigkeit, suchten viele eine neue Identität in der Rückwendung zu ihrem Heimatland. Der Islamismus behindert nach Irrgangs Auffassung die Integration: "Indoktrination kann gefährlicher sein als Pistolenschüsse." |