Süddeutsche Zeitung, 11.2.2000 EuGH: Keine Ausweisung nur zur Abschreckung Von Judith Reicherzer Luxemburg - Türkische Arbeitnehmer, die strafrechtlich verurteilt wurden, dürfen nicht allein zur Abschreckung anderer Ausländer ausgewiesen werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg begründete seine Entscheidung vom Donnerstag mit dem Assoziationsabkommen zwischen der Türkei und der EU. Demnach genießen türkische Arbeitnehmer in den EU-Mitgliedstaaten besondere Rechte - allerdings nur, solange sie einer Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt nachgehen. Das gilt auch für türkische Arbeitnehmer, die in Untersuchungshaft sitzen. Sie haben damit Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis, wenn sie nach der Haftentlassung auf Bewährung in angemessener Zeit wieder eine Beschäftigung finden, so das Urteil der EU-Richter. Damit gaben die Richter einem seit 1978 in Deutschland lebenden Türken Recht. Ömer Nazli hatte 1995 seine Aufenthaltserlaubnis von der Nürnberger Ausländerbehörde wegen einer Straftat nicht verlängert bekommen und sollte ausgewiesen werden. 1992 hatte Nazli mit 1,5 Kilogramm Heroin gehandelt und war dabei erwischt worden. Nach 13 Monaten Untersuchungshaft wurde er vom Hamburger Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Nach Ansicht der Richter handelte es sich um ein einmaliges Versagen des Angeklagten. Nazli habe vor Gericht ehrlich empfundene Reue gezeigt und sei in der Bundesrepublik sozial gut integriert. Nach der Haft fand der Mann sofort wieder eine unbefristete Stelle. Die Beamten, die seine Ausweisung verfügten, begründeten ihre Entscheidung mit den Vorschriften des deutschen Ausländergesetzes, wonach ein Ausländer in der Regel ausgewiesen werde, wenn er bestimmte Verstöße gegen die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes begehe. Die Behörde habe in solchen Fällen keinen Ermessensspielraum. Nazli klagte daraufhin gegen die Stadt Nürnberg. Die Richter am Verwaltungsgericht Ansbach gaben im Prinzip der zuständigen Behörde Recht, fragten sich aber, ob die gnadenlose Ausweisung im Fall türkischer Straftäter mit dem Assoziierungsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Union vereinbar sei. Die EU-Richter haben dazu jetzt klar entschieden: Türken, die in Deutschland legal arbeiten und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt werden, dürfen nicht automatisch ausgewiesen werden. |