Frankfurter Rundschau, 11.2.2000 Schwere Vorwürfe gegen die schlagkräftige Truppe Ermittlungen gegen Beamte der Beweissicherungseinheit Von Volker Trunk Der frühere Leiter einer Einheit der Bereitschaftspolizei in Lich, gegen den seit Monaten wegen Körperverletzung ermittelt wird, soll Mitarbeiter zu Falschaussagen und zur Manipulation von Videobändern angestiftet haben. Sind Straftaten der Polizei verschleiert worden? LICH / FRANKFURT A. M. Sie werden gehätschelt, häufig gelobt, weil sie "einen Erfolg nach dem andern einfahren". Wer Dienst in der "Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit" (BFE) bei der hessischen Bereitschaftspolizei leistet, kann sich nach Darstellung ihres Direktors Gero Kolter als Mitglied eines "besonderen Haufens" fühlen. Weil die Leute gut ausgebildet und gut ausgerüstet sind. Und weil es ein gutes Gefühl ist, stets dann den "Ausputzer" zu spielen, wenn Kollegen vom Einzeldienst nicht mehr klar kommen. Bei besonderen Anlässen werden sie angefordert, um die Kollegen von der Schutzpolizei, von Kripo bis hin zur Wasserschutzpolizei zu unterstützen. Bei Demonstrationen sind sie vor Ort, bei Rauschgifteinsätzen, bei wichtigen Fußballspielen. "Ja", sagt Kolter, "die BFE ist ist eine schlagkräftige Truppe." Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen während des kurdischen Neujahrsfests im März 1996 in Gießen waren die Beamten des Licher BFE ebenfalls zur Stelle. Mehr als 120 Teilnehmer einer ungenehmigten Demonstration waren eingekesselt worden. Als sich die Demonstranten wehrten, war es bei der Festnahme zu tumultartigen Szenen gekommen. Mehr als 500 Polizisten waren an dem Einsatz beteiligt, der noch Monate später heftige Debatten ausgelöst hat: Kurden warfen der Polizei "gezielte Provokation" vor. Polizeipräsident Manfred Meise ("Verdrehung der Tatsachen") kritisierte, dass Frauen und Kinder als "Schutzschilde" benutzt worden seien. Die Bilanz: 189 Festnahmen, 24 Ermittlungsverfahren, Prozesse vor dem Amtsgericht, Verurteilungen wegen Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Es gab aber auch Freisprüche, weil sich Anschuldigungen vor Gericht als Falschaussagen herausstellten. So hatten zwei Bereitschaftspolizisten ausgesagt, ein Kurde habe bei der Demonstration Steine geworfen. Dieses Verfahren wurde daraufhin eingestellt: Die Beamten behaupten, auf Anweisung ihres Einheitsführer gehandelt zu haben. Videobänder manipuliert Ebenfalls auf "Anordnung" des BFE-Leiters, gegen den die Frankfurter Staatsanwaltschaft seit November 1998 ermittelt, soll eine Polizistin Videobänder von Polizeieinsätzen verändert haben. Wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt hat die Staatsanwaltschaft in Gießen jetzt eine Untersuchung gegen sie und gegen die falschaussagenden Kollegen eingeleitet. Nach Auskunft des Gießener Staatsanwalts Reinhard Hübner sollen in mindestens zwei Fällen Beweisfilme verändert worden sein. Bekannt wurden die neuen Vorwürfe im Folge der Ermittlungen gegen den 34-jährigen Hauptkommissar, der sich als Leiter der BFE anschickte, Karriere zu machen. "Er war für den höheren Polizeidienst vorgesehen, wollte Polizeirat werden", sagte Direktor Gero Kolter. Doch der berufliche Höhenflug endete abrupt, als Beamte auspackten und Machenschaften innerhalb der BFE publik wurden: Seit Mai 1999 ist der Polizist suspendiert. "Reinstes Mobbing" Das "reinste Mobbing" wird in einem anonymen Brief an den Hessischen Rundfunk dem früheren Leiter und dessen Umfeld vorgeworfen, die über Jahre hinweg "in Lich getan und gelassen haben, was sie wollten". Straftaten seien begangen und vertuscht worden. Jeder habe kuschen müssen, und die Chefs wollten von nichts gemerkt haben. "Es dauerte Jahre, bis einer den Mut hatte und dies anprangerte." Kolter, Chef von landesweit 1400 Bereitschaftspolizisten in den Standorten Kassel, Lich, Mühlheim/Main und Wiesbaden, bestätigt im FR-Gespräch solche Schilderungen. Freilich betont der Direktor, dass man in Lich Konsequenzen aus den Vorfällen gezogen habe. Der Hundertschaftsführer, der Vorgesetzte des früheren BFE-Leiters, sei abgelöst worden. "Im Nachhinein können wir Signale aus der Einheit anders deuten", räumt Kolter schwere Defizite ein. Mitarbeiter seien vom Einheitsführer und seinen engsten Mitarbeitern unterdrückt und "rausgeekelt" worden. Der normale Beschwerdeweg, sagt Kolter, sei nicht geebnet gewesen: "Für uns war lange nicht erkennbar, was in der Einheit abgeht." Als die Mauer des Schweigens durchbrochen war, reagierte die Führung der Bereitschaftspolizei mit Mitteln des Disziplinarrechts. Ein Verfahren zur Dienstenthebung des 34-Jährigen ist eingeleitet worden. Außerdem soll die interne Struktur verbessert werden, um für die Zukunft solche Verhältnisse auszuschließen. Mitarbeiterbefragungen gehören dazu, Schulungen für das Führungspersonal, Kommunikationstraining. Überforderte Vorgesetzte, eingeschüchterte Kollegen und gewalttätige Beamte tragen natürlich nicht zu einem positiven Bild der Polizei bei: "Wenn Kollegen Filme fälschen, ist das ein unglaublicher Vorgang, das ist mehr als dramatisch, gerade weil die Polizei das Gewaltmonopol hat", sagt Kurt Maier, der Sprecher des Gießener Polizeipräsidiums und stellvertretender Landeschef im Bund deutscher Kriminalbeamter. Gegen den früheren Leiter der Einsatzgruppe wird noch ermittelt. Nach Auskunft des Frankfurter Staatsanwalts Job Tilmann steht der Polizist in Verdacht, 1995 in Offenbach gegen einen Fußballfan, 1996 in Frankfurt gegen einen Rauschgiftsüchtigen tätlich geworden zu sein. Im März 1997 soll er in Gorleben bei einer Demo angeordnet haben, eine mit Kinderwagen errichtete Straßensperre aufzuheben und die Gefährte im Wald zu zertrümmern. Tilmann: "Wir arbeiten uns durch 30 Aktenordner durch." |