Stuttgarter Zeitung, 12.2.2000 Kommentar Türkei verdient Vertrauen VON ALEXANDER MICHEL Wer in den deutsch-türkischen Beziehungen eine klare Linie sucht, der sucht vergeblich: Note ¸¸Fünf'' für die außenpolitischen Hausaufgaben von Gerhard Schröder. Er sagt seinen Türkei-Besuch ab, weil er mit fast leeren Händen nach Ankara fliegen müsste. Warum? Auf der Wunschliste des türkischen Militärs stand der deutsche Leopard 2 ursprünglich ganz oben. Wäre der rot-grüne Streit um die Lieferung des Testpanzers sonst so hysterisch geführt worden? Doch die Schröder-Truppe zog sich hinter den lockeren Formelkompromiss ¸¸Erst Menschenrechte, dann Panzer - vielleicht'' zurück und schob eine Entscheidung auf die lange Bank. Ankaras früher als erwartet geäußerte Bitte um grünes Licht für den Leopard erwischt Schröder auf dem falschen Fuß. Er weiß, dass der grüne Partner das Exportgeschäft auf jeden Fall verhindern will - und seine moralischen Bedenken nur ein Tarnnetz abgeben, hinter dem sich ein Fundi-Nein zu allen Rüstungsexporten verbirgt. Andererseits will der Außenminister und Grünen-Vormann Joschka Fischer Ankara an die EU heranführen. Wie passt das zusammen? Die Zeit für ein Ende des Schlingerkurses ist reif. Dafür sprechen Fakten, die im Kabinett endlich gewürdigt werden sollten: PKK-Führer Öcalan wurde nicht hingerichtet; seine Truppe hat die Waffen gestreckt, der Frieden in Anatolien ist so nah wie nie zuvor. Das Erdbeben in der Türkei hat die Streithähne Ankara und Athen besonnen gemacht. Diplomatie löst Drohgebärden ab. Das rückt eine Lösung der Zypern-Frage, in der sich Fischer gerade engagiert, in Reichweite. Kurzum: Anstatt Besuchsabsagen hat der stets zuverlässige Nato-Partner Türkei Vertrauen verdient. |