Frankfurter Rundschau, 15.2.2000

Kommentar

Der Knüppel der Sanktionen

Im Zeitalter des Internet fürchten Diktatoren die Öffnung ihrer Gesellschaften, nicht deren Isolation

Von Rolf Paasch

Ob im Kampf gegen Slobodan, Saddam oder Fidel, der Streit unter den Alliierten ist immer der gleiche. Die Amerikaner geben sich moralisch, die Europäer handeln pragmatisch. Die USA reiten stolz ihre Prinzipien - oft zu Tode. Europa gibt immer wieder nach - manchmal bis zum Appeasement. Unilateralismus steht hier gegen einen mühsamen Konsens. Sture Machtpolitik gegen das politische Engagement gerade des Gegners. Natürlich bewegt sich auch die unverzichtbare Weltmacht nicht immer entlang der Linien, die sie vorher in den Sand gezogen hat. Realpolitik unterwandert häufig die moralischen Ansprüche Washingtons. Auch findet die EU trotz ihrer Kultur des Kuhhandels gelegentlich zu gemeinsamer Härte; und sei es als Summe bilateraler Proteste gegen ein alpines Mitgliedsland. Doch ob die Unterschiede in der Weltsicht nur rhetorisch oder wirklich sind: Der Streit um Sanktionen gegen Jugoslawien, Irak, Iran, Libyen oder Kuba scheint unvermeidlich. In der Neuen Welt ist die Drohgebärde des Boykotts längst Reflex, in der Alten Welt bleibt sie ein schwieriger Akt. Nur eines scheint es in diesem transatlantischen Ringen um den Umgang mit Diktatoren nicht zu geben: eine vorurteilslose Analyse der Situation in Havanna, Bagdad oder Belgrad mit einer strategischen, koordinierten und differenzierten Reaktion.

Beispiel Serbien. Die USA verhindern die Aufhebung der nach den ersten Vertreibungen in Kosovo 1998 erneut verfügten Sanktionen gegen das ehemalige Jugoslawien. Die EU dagegen will - mit den Deutschen an der Spitze - die Lockerung des Handelsembargos, weil es der Bevölkerung mehr schadet als Milosevic. Die Briten und Holländer teilen in diesem Fall die US-Position. So war der Kompromiss im Rat der EU-Außenminister abzusehen: Das Flugverbot wird als Zugeständnis an die eine Seite aufgehoben; das Ölembargo bleibt zur Beruhigung der anderen Seite. Dieses Ergebnis ist ein außenpolitischer Pfusch.

Serbien liegt am Boden. Es ist nach einem Jahrzehnt der Kriege und Sanktionen bald so bankrott wie die ärmsten Länder Afrikas. Seine Isolation hat den Staat gestärkt, nicht geschwächt. Die letzten Reste der Volkswirtschaft werden von der Mafia verwaltet, deren Paten im Kabinett sitzen. Politische Morde, nicht Proteste bestimmen den traurigen Alltag. Seit Serbiens Niederlage gegen die Nato machen allein die Reiseverbote und Kontensperrungen gegen die Vertreter des Regimes einen Sinn; eine Sanktion, die allerdings um Jahre zu spät kam und, wie die geplanten Nachbesserungen jetzt zeigen, zu viele Schlupflöcher offen ließ. Wer aber heute noch glaubt, der Opposition mit einer weiteren Bestrafung der Bevölkerung an die Macht verhelfen zu können, ist blind, zynisch oder mehr an der Show-Wirkung von Sanktionen interessiert als an Serbien.

Sanktionen sind Signale an fremde Diktatoren, mehr Demokratie zuzulassen. Unter bestimmten Voraussetzungen lassen sich mit ihnen so genannte "niedrige politische Ziele" erreichen, wie verschiedene historische Studien aus den USA zeigen. In der Zusammenschau seit 1945 waren Finanz-Sanktionen erfolgreicher als reine Handelsembargos. Letztere wirken nur bei einem Quasi-Handelsmonopol mit dem boykottierten Land und eben nicht, wenn - wie im Fall Serbiens - Russland die Gasversorgung im Winter sicherstellt. Gegen die Apartheid in Südafrika mag das internationale Handelsembargo gewirkt haben. Aber zum Sturz von Diktatoren wie Saddam Hussein oder Slobodan Milosevic ist der Boykott das falsche Mittel. Dennoch haben sich Sanktionen seit den 70er Jahren zu einem zentralen Instrument US-amerikanischer Außenpolitik entwickelt. Sie sind billiger als jede militärische Intervention. Und sie eignen sich als punitive Geste vorzüglich zur Selbstdarstellung im Parlament. So ist der inflationäre Einsatz von Sanktionen durch den US-Kongress vor allem das Resultat einer nach innen gerichteten Außenpolitik, die mit zunehmender Macht in der Welt daheim immer provinziellere Züge annimmt.

Dabei sind Sanktionen als Mittel der Außenpolitik im Zuge der Globalisierung längst ein Anachronismus. Im Zeitalter des Internet fürchten Diktatoren die Öffnung ihrer Gesellschaften, nicht deren Isolation. Fidel Castro würde unter einer offen geführten Attacke des Kapitalismus mehr leiden als unter dem Wirtschaftsembargo. Nicht die tägliche Erniedrigung, sondern Reisefreiheit, Investitionen und Weltbankkredite wären der rechte Weg zur Unterstützung der serbischen Opposition gegen Milosevic. Ausgerechnet im Kampf gegen Diktaturen aber misstrauen die USA den Wirkungen jenes Kulturimperialismus, dessen freie Fahrt sie auf jedem Wirtschaftsgipfel mit aller Gewalt verteidigen. Stattdessen lässt die Weltmacht lieber den puritanischen Knüppel aus dem Sack. "Das Embargo", so hat es der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun treffend formuliert, "ist ein großer Schlagstock, der nur die trifft, die ohnehin schon genug Hiebe einstecken müssen."