Frankfurter Rundschau, 15.2.2000 Tansu Ciller unter Verdacht Im Blickpunkt: Waffen der Hisbollah Von Gerd Höhler (Athen) Mindestens 484 Morde, so die jüngsten Erkenntnisse der Fahnder, hat die türkische Untergrundorganisation Hisbollah seit 1991 verübt. Ihre Waffen bekamen die islamischen Terroristen offenbar vom Staat. Unter anderem die frühere türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller gerät ins Zwielicht. Die Leichen von 58 Hisbollah-Opfern, die meisten durch schwerste Folter grausam zugerichtet, haben die Ermittler bisher entdeckt. Die jetzt von den Fahndern genannte Zahl von annähernd 500 Morden ist wahrscheinlich zu tief gegriffen. Vermutet wird, dass die Hisbollah weit mehr als tausend Menschen auf dem Gewissen hat. Mutmaßungen, wonach der Staat die Hisbollah als Todesschwadronen gegen kurdische Bürgerrechtler benutzt oder zumindest das Morden geduldet habe, dementiert die Regierung in Ankara zwar weiterhin. Seit die Ermittler in Südostanatolien aber mehrere riesige Waffenlager der Hisbollah entdeckten, steht der Verdacht im Raum, dass die Untergrundorganisation von staatlichen Stellen aufgerüstet wurde. In der Nacht zum Montag starben in Van in der Osttürkei fünf Polizisten und drei mutmaßliche Hisbollah-Aktivisten bei einem Schusswechsel, nachdem die Polizei ein von der Untergrundorganisation genutztes Haus umstellt hatte. Eine von Premier Bülent Ecevit angeordnete Untersuchung soll nun den Verbleib größerer Mengen Waffen klären, die in den Jahren 1994 bis 1996 vom Gouverneur der südostanatolischen Provinz Batman angeschafft wurden, seither aber unauffindbar sind. Die Waffen im Wert von 2,8 Millionen US-Dollar, vor allem Gewehre und Granaten, wurden aus China und aus Bulgarien importiert. Bestimmt war die Lieferung angeblich für die Ausrüstung einer von Provinzgouverneur Salih Sarman aufgebauten, etwa tausend Mann zählenden "Spezialeinheit" der Dorfwächter-Miliz, die gegen die kurdische PKK eingesetzt werden sollte. Schon die Beschaffung war ungewöhnlich genug, denn die Provinzverwaltung war eigentlich gar nicht berechtigt, Waffen zu erwerben. Bezahlt wurden sie mit Geld aus einem staatlichen Wohnungsbaufonds. Überdies wurde ein großer Teil der Waffen unter Umgehung des Zolls ins Land geschmuggelt. Zu klären ist nun aber vor allem der Verbleib von Waffen im Wert von rund 670 000 Dollar, über deren Verwendung es keinerlei Aufzeichnungen gibt. Man befürchtet, dass sie ihren Weg in die Arsenale der Hisbollah fanden. Die Provinz Batman gilt als Hochburg der Hisbollah, die hier seit Mitte der achtziger Jahre operierte. In keiner anderen türkischen Südostprovinz gibt es eine so große Zahl von unaufgeklärten Morden und Entführungen. Meist wurden die Opfer, überwiegend Kurdenpolitiker, Menschenrechtler, Gewerkschafter und Journalisten, aus nächster Nähe durch Kopfschüsse regelrecht exekutiert. Andere verschwanden spurlos. Im Zusammenhang mit der Waffenaffäre fällt nun wieder einmal der Name der früheren türkischen Ministerpräsidentin Tansu Ciller. Sie hat nach eigenem Eingeständnis seinerzeit die Waffengeschäfte des Provinzgouverneurs gebilligt. Bereits in der Vergangenheit war Ciller mit dem Verdacht konfrontiert, dass während ihrer Amtszeit der Staat Drogenschmuggler und Berufskiller anheuerte, um missliebige kurdische Bürgerrechtler zu beseitigen. Öffentlich zollte Ciller vor drei Jahren dem bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Gangster Abdullah Catli Respekt, einem jahrelang steckbrieflich gesuchten Mörder. Catli war von staatlichen Stellen als Kurden-Killer rekrutiert worden, Cillers damaliger Innenminister Mehmet Agar stellte dem Mafioso einen gefälschten Pass aus. Nun rechtfertigt sich Ciller, mit den von ihr gedeckten Waffengeschäften sei sie ihren "Verpflichtungen im Kampf gegen den Terrorismus" nachgekommen: "Ich bin froh, dass ich damals so gehandelt habe, und ich würde heute nicht anders handeln." |