Kölner Stadtanzeiger, 15.2.2000 Ein Neuanfang war überfällig Griechen und Türken auf Annäherungskurs Von Klaus Bohnhof Wenn es beinahe vier Jahrzehnte dauert, bis der Außenminister wieder das Nachbarland besucht, sind die Beziehungen zwischen den beiden Staaten entweder derart ideal, dass es nicht einmal mehr diplomatischer Höflichkeitsbezeugungen bedarf, oder sie sind zutiefst zerrüttet. Meist trifft der zweite Fall zu. Das galt auch für die zerstrittenen Nachbarn Griechenland und Türkei. Das heißt aber zugleich, dass eine Neubewertung überfällig ist. Über Jahre angeheizte Spannungen pflegen sich nicht von selbst aufzulösen, vielmehr spitzen sie sich immer bedrohlicher zu. Will man nicht eine Explosion riskieren, so muss man die Krise rechtzeitig entschärfen. Griechen und Türken haben diese Einsicht beherzigt und erste Schritte hin zu einer Normalisierung getan. Die Anfänge sind - zumindest zum Teil - naturgemäß bescheiden. So wollen beide Staaten gemeinsam den Tourismus fördern, was den kleinen Grenzverkehr, zumal in der Ost-Ägäis, erleichtern könnte. Doppelbesteuerung soll vermieden, illegale Einwanderer sollen zurückgeschickt werden. Mit der verabredeten "Bekämpfung von Banden" wird es schon schwieriger. Die Türkei zählt dazu auch die PKK, während viele Griechen den Kampf der Kurden um Autonomie stets mit Sympathie verfolgten. Den Durchbruch brachte jedoch die Zustimmung Athens zur Zuerkennung des EU-Kandidatenstatus an Ankara. Athen handelte sich im Gegenzug die Zusage Ankaras ein, den Territorialstreit in der Ägäis friedlich zu lösen, entweder durch Vereinbarungen beider Staaten oder notfalls durch eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. In beiden Fällen handelt es sich zwar um Schecks, die erst in der Zukunft eingelöst werden können, doch ein wichtiger Ansatz ist gemacht. Der Neuanfang war also fällig, er war aber keineswegs ein Zufall. Vielmehr betraten Personen die Bühne, die als Architekten eines Wiederaufbaus Statur bewiesen. Dies waren nicht zuletzt die eigentlichen Verhandlungspartner zwischen beiden Staaten, die Außenminister Geor¦gios Papandreou (Griechenland) und Ismail Cem (Türkei). Aber auch die jeweiligen Regierungschefs trugen das Ihre bei. Konstantinos Simitis verhält sich in seiner pragmatischen, nationalistischen Parolen abholden Art zu seinem demagogischen Vorgänger Andreas Papandreou wie Feuer zu Wasser. An der Rolle des Störenfrieds, in der sich sein Land lange in der EU gefiel, liegt ihm nichts. Auf der anderen Seite sprang Bülent Ecevit über seinen Schatten, riskierte den Konflikt mit seinem rechtsnationalen Koalitionspartner und lud Simitis nach Ankara ein. Der Prozess der Annäherung entwickelt so eine gewisse Eigendynamik. Alte Feindbilder verstauben, zumal im Konflikt um Durchfahrtsrechte in der Ägäis: Die UN-Seerechtskonvention garantiert seit längerem türkischen Handels- und auch Kriegsschiffen die ungehinderte Passage durch griechische Hoheitsgewässer. Ankara, das sich nicht länger von der EU ausgegrenzt fühlt, schlug nun vertrauensbildende Maßnahmen auf militärischem Gebiet vor. Schließlich mögen sich beide Seiten berühmter Vorbilder erinnern: Der griechische Regierungschef Eleftherios Venizelos gab 1930 seine Idee eines Großgriechenland auf und schloss mit Präsident Kemal Atatürk einen Freundschaftsvertrag. Die Differenzen waren für eine lange Zeitspanne ausgeräumt - dies für immer zu tun, ist heute die Herausforderung an beide Seiten. |