Süddeutsche Zeitung, 17.2.2000 Meinungsseite Ein Kampf mit stumpfem Schwert Die Probleme mit Belgrad und Bagdad zeigen: Sanktionen sind keine Allzweckwaffe Von Peter Münch Es gibt drei Arten, mit sogenannten Schurkenstaaten umzugehen: Sanktionen, Bomben oder die Kapitulation vor dem organisierten Staatsverbrechen. Das erste ist ein Strafmittel der Politik, das zweite bedeutet Krieg, das dritte ist pure Feigheit mit katastrophalen Folgen. Weil heutzutage niemand mehr den Massenmördern im Präsidentengewand freie Hand lassen will und weil alle Politik darauf aus sein muss, Krieg zu vermeiden, richten sich folglich alle Hoffnungen auf Plan A: die gewaltlosen Repressalien. Doch in der Praxis erweist sich die Sanktionspolitik immer wieder als untauglich. Oft ist sie ein stumpfes Schwert, häufig wirkt sie sogar kontraproduktiv. Soll man also künftig besser die Finger davon lassen? Dass Sanktionen in die Sackgasse führen können, lässt sich zur Zeit an zwei Beispielen belegen: am Irak und an Jugoslawien. Bagdad und Belgrad sind die gesamten neunziger Jahre über die Hauptadressaten von UN-Sanktionen gewesen. Dennoch sind die beiden Hauptschurken Saddam Hussein und Slobodan Milosevic immer noch an der Macht. Allerdings sind die Länder, über die sie herrschen, ruiniert. Und ihre Völker hungern, frieren und leiden. Sie sind existenziell bedroht, und sie sind so deprimiert, dass sie viel zu schwach erscheinen für einen Aufstand gegen die Despotie. Es gibt also viele, denen die Sanktionen schaden. Nur diejenigen, die sie wirklich treffen sollten, gehören offenkundig nicht dazu. Im Gegenteil: Saddam und Milosevic, die beiden Brüder im Ungeiste, nutzen sie zur Ablenkung von der eigenen Schuld. Denn alles Elend in ihrem Reich kann die Propaganda dem internationalen Embargo anlasten. So wird die Wut der Massen auf die Außenwelt gelenkt und mit dem Feindbild das Regime stabilisiert. Zudem haben die Sanktionen den Krieg nicht verhindert, sondern Bombardements in Serbien und im Irak nur umrahmt. Aus diesen Gründen wird nun ein Umdenken gefordert. Aus Protest gegen die Irak-Sanktionen sind zwei deutsche UN-Diplomaten, die in Bagdad fürs Humanitäre zuständig waren, zurückgetreten. Und in Washington, wo die Weltmeister im Verhängen von Sanktionen sitzen, haben 70 Kongress-Abgeordnete von Präsident Bill Clinton eine Aufhebung des Embargos verlangt. Auch in die Balkan-Sanktionspolitik ist Bewegung gekommen: Die EU-Außenminister haben in dieser Woche das Flugembargo gegen Jugoslawien für vorläufig sechs Monate suspendiert. In Bagdad wie in Belgrad scheint tatsächlich die Zeit für Korrekturen am internationalen Strafregiment gekommen zu sein. Das Ziel, die Diktatoren gefügig und weniger gefährlich zu machen, ist nicht erreicht worden. Die Mächtigen wälzen die Belastungen in zynischer Verachtung einfach aufs Volk ab. So drehen sie den Spieß um und bringen den Westen in Bedrängnis, weil dessen politische Ziele nun mit seinen humanitären Standards kollidieren. Es ist so pervers wie wahr: Weil die Schurken sich nicht darum scheren, werden die unschuldigen Opfer der Sanktionen auch zu Opfern der westlichen Sanktionspolitik. Das heißt jedoch nicht, dass Sanktionen gegen Jugoslawien oder gegen den Irak überflüssig, ja ein Fehler wären. Sie völlig zu suspendieren würde bedeuten, Saddam und Milosevic einen Triumph zu schenken und all die im Stich zu lassen, die von ihnen bedroht werden. Und es heißt schon gar nicht, dass Sanktionen generell ein untaugliches Mittel der Politik wären. Zum Beispiel haben sie in Südafrika den Zerfall des Apartheidsregimes beschleunigt oder in Libyen Gaddafi zur Auslieferung der Verdächtigen des Lockerbie-Attentats gebracht. Doch Sanktionen sind keine Allzweckwaffe. Sie müssen gezielt eingesetzt und flexibel gehandhabt werden. Sobald sie mehr schaden als nutzen, ist Phantasie statt Prinzipientreue gefordert. Es ist der mühsame Weg, immer wieder in kleinen Schritten Neues zu versuchen. Es ist das oft fast aussichtslose Bemühen, die Gegenkräfte im Land zu stärken. Es ist der Versuch, mit gebundenen Händen gegen einen Drachen zu kämpfen. Doch dabei ist ein stumpfes Schwert besser als gar keines. |