Die Welt, 17.2.2000 Iran macht dem "großen Satan" USA vorsichtige Avancen Die Reformer setzen sich für eine Normalisierung der Beziehungen zur Weltmacht ein und hoffen so auf den Wahlsieg Von Evangelos Antonaros Teheran - Alte Gewohnheiten, vor allem wenn sie ideologisch verankert sind, sterben langsam. So gehört es zu den Ritualen der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Islamischen Revolution, die vor 21 Jahren das theokratische Regime im Iran etablierte, amerikanische Flaggen als Symbole des "großen Satans", wie die USA hier zu Lande von offizieller Seite genannt werden, öffentlich zu verbrennen. Auch in der vergangenen Woche, als der 21. Jahrestag der Islamischen Revolution des Ayatollah Chomeini begangen wurde, war es nicht anders. Aber die Flaggenverbrennungen scheinen kaum noch zeitgemäß zu sein, denn immer mehr Spitzenpolitiker aus dem Reformlager verlangen nach einer Normalisierung der Beziehungen zum einst engen Verbündeten. Das scheint Volkes Seele eher zu treffen und vergrößert die Chancen, am kommenden Freitag als Sieger aus den Parlamentswahlen hervorzugehen. Achmad Borgani, wegen seines Reformeifers geschasster Vizekulturminister, ruft zu "neuen Überlegungen hinsichtlich des Verhältnisses mit den USA" auf. Und der 40-jährige Ali Reza Nouri, Spitzenkandidat der Reformer und jüngerer Bruder des ehemaligen Innenministers und unumstrittenen Spitzenkandidaten Abdullah Nouri, der im November wegen "antiislamischer" Propaganda festgenommen und ins Gefängnis gesteckt wurde, regt eine Änderung der iranischen Nahostpolitik und ein Referendum über die Frage der Beziehungen zu den USA an. Zu den Befürwortern eines "völlig neuen Kurses" gehört auch Abbas Abdi, der vor 20 Jahren zu den Anführern der iranischen Studenten zählte, die die US-Botschaft besetzten und 52 US-Diplomaten 444 Tage lang gefangen hielten. Heute aber will er für das Reformlager ins Parlament einziehen. Die Parole "Down with USA" ist inzwischen aus den Hallen der Luxushotels in Teheran verschwunden. Über die amerikanische Politik wird in den iranischen Medien kritisch, aber ausführlich berichtet. Der Kiosk auf dem Gelände der einstigen US-Botschaft an der Taleghani-Avenue, wo Revolutionswächter seit Jahren Fotokopien streng geheimer amerikanischer Dokumente aus dem "CIA-Nest" verkaufen, wirkt verlassen. Wer will schon vergilbte und unlesbare Schriftstücke aus einer vergangenen Epoche erwerben? Amerikanische Journalisten, die über die Wahl berichten wollen, werden genauso wie andere Ausländer mit einem Einreisevisum ausgestattet. Aber wie jeder US-Besucher werden sie bei der Passkontrolle genauer untersucht - sie könnten ja Spione sein. In jedem besseren Hotel im Iran wird die Rechnung dem Gast in US-Dollar präsentiert. Aber sie kann nicht mit einer American-Express-Kreditkarte beglichen werden, selbst wenn sie in Deutschland ausgestellt ist. Der Begriff "American" ist noch immer, wenn nicht tabuisiert, so doch anrüchig. Kamal Charrasi, unter Präsident Mohammed Chatami vom langjährigen UN-Botschafter zum Außenminister aufgestiegen, macht seit Monaten vorsichtige Avancen in Richtung USA und verärgert die Hardliner damit maßlos. Sein Vorgänger Welajati wirft ihm vor, "ohne die nötige Festigkeit" die Wiederaufnahme der Beziehungen anzustreben. Den xenophoben Konservativen, die mit einer Öffnung des Iran zur Außenwelt den Verlust ihrer Privilegien befürchten müssen, behagt es gar nicht, dass das Interesse des Westens an ihrem Land ständig wächst und dass der Iran nun auch dem Tourismus geöffnet werden soll. Das tief sitzende Misstrauen bekam kürzlich auch der deutsche Botschafter in Teheran, Klaus Zeller, zu spüren. Als er nach einem Gespräch mit dem iranischen Vizekulturminister feststellte, der Westen verfolge die Entwicklungen in Richtung Demokratie mit Interesse, löste er damit wilde Proteste aus. "Wer gibt Ausländern in diesem Land das Recht, Zensuren zu verteilen?", zischte die Tageszeitung "Kayhan" und forderte die Regierung zu einer "gebührenden Reaktion" auf. |