Berliner Zeitung, 17.2.2000 Irak ein Spielball der Veto-Mächte Roland Heine Im jahrelangen Streit um die Wirtschafts-, Finanz- und Handelssanktionen der Uno gegen Irak bahnt sich eine Wende an. Zunehmend gerät die amerikanische Regierung, an deren Widerstand im UN-Sicherheitsrat die Aufhebung des Embargos bislang scheiterte, auch im eigenen Lande in die Kritik. Im US-Kongress ist die Gruppe jener Abgeordneten, die von der Clinton-Administration die Aufgabe ihres lediglich von Großbritannien unterstützten Kurses verlangen, in den letzten Wochen auf 70 Parlamentarier angewachsen. In einer Erklärung vom Dienstag heißt es, die Sanktionen hätten auch nach Jahren nicht zum Sturz von Iraks Diktator Saddam geführt, sondern nur die Lage des irakischen Volkes dramatisch verschlechtert. Tags zuvor hatten zahlreiche Amerikaner vor der US-Mission am UN-Sitz in New York für ein Embargo-Ende demonstriert, mindestens 86 Menschen wurden festgenommen. Auch für die Uno kam mit den jüngsten Entwicklungen eine neue Dynamik in die Angelegenheit. Am Sonntag hatte der UN-Koordinator in Irak, Hans von Sponeck, aus Protest gegen den Fortbestand des Embargos sein vorzeitiges Ausscheiden angekündigt. Zwei Tage später folgte ihm die Chefin des Welternährungsprogramms, Jutta Burghardt. Im UN-Hauptquartier reagierte man bestürzt. Zwar hatte Generalsekretär Kofi Annan seine persönliche Ablehnung gegenüber den Sanktionen immer wieder durchblicken lassen. Eine direkte Konfrontation mit der US-Regierung, wie sie nun wegen zu erwartender Debatten um die Nachfolge der beiden Deutschen wahrscheinlicher geworden ist, hatte er aber vermieden. Vorstöße scheiterten an den USA Nahezu zehn Jahre ist es her, dass der UN-Sicherheitsrat als Antwort auf den damaligen Einmarsch Iraks in Kuwait die fraglichen Sanktionen verhängte. Die Verabschiedung der entsprechenden Resolution 661 war ein bis dahin nahezu beispielloser Fall von Einmütigkeit unter den fünf Veto-Mächten USA, Großbritannien, Frankreich, UdSSR und China. Insbesondere die Zustimmung der beiden Letzteren, die im Vorfeld des Golfkrieges 1991 sogar die Androhung militärischer Zwangsmaßnahmen gegen Irak unterstützten, war dem sicherheitspolitischen Optimismus nach Ende des Kalten Krieges geschuldet. Sowohl Moskau als auch Peking gingen davon aus, dass spätere Wünsche ihrerseits, die gefassten Ratsbeschlüsse wieder aufzuheben, in Washington wohlwollend behandelt würden. Das erwies sich als Irrtum. Alle seit Mitte der 90er Jahre von Russland, China und dann auch Frankreich unternommenen Vorstöße, das Embargo per Sicherheitsratsbeschluss zu beenden, scheiterten an der Weigerung der USA und ihres angelsächsischen Partners. Erst, so hieß es, müsse Diktator Saddam die 1991 verfügten Abrüstungsauflagen erfüllen. Alle Verweise aus Moskau, Paris oder Peking darauf, dass die geforderte Abrüstung - soweit überhaupt kontrollierbar - bereits vollzogen sei, wurden in Washington abgetan. Gleiches gilt für alle Berichte über die Verelendung des irakischen Volkes, deren Ursache nicht nur, aber doch wesentlich im anhaltenden Embargo zu suchen ist. UN-Schätzungen zufolge starben allein zwischen 1991 und 1996 im Irak eine halbe Million Kinder an Unterernährung und Medikamentenmangel. Militärpräsenz und Knappentreue Die Hintergründe für den Kurs der US-Regierung sind klar machtstrategischer Natur: Solange Saddam als akute Bedrohung für die halbe Welt dargestellt werden kann, glaubt man, die andauernde außerordentliche Militärpräsenz der USA inmitten der Erdöl-Region Nummer eins der Erde nicht sonderlich begründen zu müssen. Großbritannien wiederum ist in erster Linie bemüht, auch am Golf seine Sonderbeziehungen zu den USA unter Beweis stellen. Das Kalkül Londons ist so nüchtern wie einfach: Wenn die letzte Supermacht ohnehin nach Gutdünken agiert, dann ist es das Beste, von Anfang an mit von der Partie zu sein. Doch auch jenen Veto-Mächten, die das Embargo kippen wollen, geht es nur um sich selbst. Moskau, lange Jahre eng mit Bagdad verbunden, sieht Irak als Brückenkopf, um seinen geschwundenen Einfluss in der Region wieder auszubauen. Wenn das Land freien Handel treiben könnte, wäre es auch endlich in der Lage, seine enormen Schulden bei Russland zu begleichen. Frankreich wiederum hat es vor allem auf Iraks Ölquellen selbst abgesehen: Seit Jahren bereits gibt es für den Fall einer Normalisierung Absprachen über die Konzessionsvergabe. Einfluss und Öl sind schließlich auch das, was sich China von seinem Kurs im UN-Sicherheitsrat verspricht. Der seit 1991 bestehende Status quo rund um Irak ist auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten. Eine Erkenntnis, zu der sich auch in den USA immerhin bereits 70 Parlamentarier durchringen konnten.
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