Frankfurter Rundschau, 19.2. Eine linke Partei auf dünnem Eis In der Türkei formiert sich die "Demokratie-Bewegung" Von Gerd Höhler (Athen) Während die türkische Regierung dem konservativen Staatspräsidenten Süleyman Demirel mit einer Verfassungsänderung zu einer weiteren Amtszeit verhelfen will, formiert sich am anderen Ende des politischen Spektrums eine neue Partei. Der 75-jährige Ministerpräsident Bülent Ecevit treibt die geplante Grundgesetzänderung voran, die es dem 76-jährigen Demirel ermöglichen soll, im Amt zu bleiben. Bisher lässt die Verfassung nur eine einzige, siebenjährige Amtszeit zu. Ein politischer Veteran, der fünffache Premier Ecevit, ist einem anderen, dem siebenfachen Ministerpräsidenten und Staatsoberhaupt Demirel, zu Diensten. Das zeigt die Vergreisung der Politik. Als neue politische Kraft hofft sich die "Demokratie-Bewegung" zu etablieren. Hauptinitiator ist Feridun Yasar, früher Vorsitzender der 1994 verbotenen pro-kurdischen Demokratie-Partei (DEP). Unterstützt wird die Gruppe von prominenten ehemaligen DEP-Abgeordneten wie Leyla Zana und Hatip Dicle, die im Gefängnis sitzen. Auch viele Mitglieder der pro-kurdischen Demokratie-Partei des Volkes (Hadep), einer Nachfolge-Organisation der DEP, sind in der "Demokratie-Bewegung" aktiv; sie könnte deren politische Heimat werden, wenn die Hadep wie geplant verboten wird. Eine neue Kurdenpartei möchte die "Demokratie-Bewegung" nicht sein; von 30 Gründungsmitgliedern sind nur 18 kurdischer Abstammung. Man sehe die "Demokratie-Bewegung" als eine "Massenpartei, die sich der Probleme aller Menschen annimmt, unabhängig von deren ethnischer oder sozialer Herkunft", erklärt Mitbegründer Kemal Okutan, früher Hadep-Vizechef. Sie werde sich besonders den Rechten von Frauen und Jugendlichen, der Bildungspolitik und dem Gesundheitswesen widmen. Gleichzeitig betonte Yasar bei einem Treffen der Gruppe in Izmir, es sei wichtig, die Kurdenfrage politisch zu lösen und "dem kurdischen Volk zu ermöglichen, seine eigene kulturelle Identität zu leben". Mit solchen Formulierungen wandelt der Politiker, bevor die Partei formell gegründet ist, auf dünnem Eis. Wer von der Existenz eines "kurdischen Volkes" spricht, riskiert in der Türkei eine Anklage wegen "separatistischer Propaganda" und "Volksverhetzung". Derzeit lotet die "Demokratie-Bewegung" mit Versammlungen in der Provinz die Resonanz aus und wirbt Mitglieder. Zulauf erwartet man von weiteren Gruppen links der Mitte wie der Arbeiterpartei (Emep) und der Partei für Freiheit und Solidarität (ODP). Auch Intellektuelle, die bisher politisch nicht aktiv sind, werden umworben. In der Beitrittskandidatur zur Europäischen Union und im Gewaltverzicht der PKK sieht Feridun Yasar den "Beginn einer neuen politischen Ära". Nun müssten Demokratisierung sowie individuelle und soziale Rechte diskutiert werden. Ob das gelingt, dürfte sich am Schicksal der "Demokratie-Bewegung" zeigen. |