Frankfurter Rundschau, 21.2.2000 Hoffnung ist das höchste Gut der Kurden Oberbürgermeister aus Provinzhauptstädten fordern bei Entwicklungskonferenz die Aufhebung des Ausnahmezustands Von Edgar Auth und Gerd Höhler Von heute auf morgen verschwinden Gewalt, Folter und Willkür nicht aus dem Alltag im kurdischen Teil der Türkei, sagt Feridun Celik, der Oberbürgermeister von Diyarbakir. Doch es keimt Hoffnung seit die Kurdenpartei PKK dem bewaffneten Kampf abgeschworen hat. Zusammen mit Kollegen aus fünf weiteren kurdischen Provinzhauptstädten nahm Celik jetzt an einer Konferenz über Stadtentwicklung in Hannover teil. In einer gemeinsamen Erklärung fordern die kurdischen Stadtoberhäupter "die Durchsetzung der europäischen Idee von lokaler und regionaler Selbstverwaltung". Weiter heißt es: "Der türkische Zentralismus ist ein Hindernis für viele Reformen." Auf Einladung der Gesellschaft für bedrohte Völker suchten sie bei der "Dritten Europäischen Konferenz Zukunftsbeständiger Städte" in Hannover Partner für den Wiederaufbau und die nachhaltige Entwicklung ihrer vom Krieg zerstörten Region. Celik gehört zur Kurdenpartei Hadep, die nach wie vor unter Verbotsdrohung der Behörden in Ankara steht, weil ihr Beziehungen zur PKK nachgesagt werden. 63,5 Prozent der Wählerstimmen reichen zur Alleinregierung in Diyarbakir. Diese größte Kurdenstadt hatte vor dem Kurdenkrieg 250 000 Einwohner. Heute sind es etwa 1,5 Millionen. Die Folge: Es fehlt an Wohnungen, Infrastruktur, Straßen, Kanalisation. Die hygienischen Verhältnisse nennt Celik "miserabel". Ähnlich ist die Lage in den anderen auf der Konferenz vertretenen Städten: Batman, Bingöl, Hakkari, Siirt und Van. In über zehn Jahren Krieg wurden, einer Untersuchungskommission des türkischen Parlaments zufolge, 3428 Dörfer zerstört und 2,5 Millionen Menschen vertrieben. 35 000 Menschen kamen ums Leben. Da braucht es Zeit und Geduld, bis Vertrauen in den Frieden wächst, wiederholt Celik mehrmals fast beschwörend. Viel Mühe wendeten er und seine Partei auf, um den "friedlichen Prozess zu beschleunigen". Man dürfe sich "nicht provozieren lassen". Denn Frieden sei die Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und Investitionen. "Ermutigend" findet Celik die Beschlüsse des jüngsten 7. Parteikongresses der PKK, der die Beendigung des bewaffneten Kampfes "offiziell" bestätigte. Doch die türkische Seite tue sich schwer, dem zu vertrauen. Immerhin registriert er eine "andere politische Atmosphäre". Das Militär entscheide aber weiter selbst und die Polizei unterstehe dem von Ankara eingesetzten Supergouverneur. Die gehe nun bei Hausdurchsuchungen "nicht so hart" gegen Menschen vor wie früher. Es werde aber immer noch gefoltert. Vor 25 Tagen wurde sein Stellvertreter festgenommen und misshandelt, sagt Celik und möchte das zugleich am liebsten verschwiegen wissen - um des Friedens willen. In Europa seien viele Städte für ihre Sicherheit selbst zuständig, hörten die Bürgermeister in Hannover. Davon könne man in der Türkei lernen, wie überhaupt beim Demokratisierungsprozess, den das ganze Land brauche, Hilfe von der EU dringend nötig sei. Die kurdischen Bürgermeister forderten in Hannover die Aufhebung des Ausnahmezustands in allen Kurden-Provinzen, auf dem die faktische Herrschaft des Militärs fußt. In der PKK verweigern sich einige Kommandeure dem Friedenskurs ihres vor nun einem Jahr festgenommenen Chefs Abdullah Öcalan. Aber die Anzahl der Gefechte zwischen Armee und Guerilla ist nach staatlichen Angaben seit dem vergangenen Jahr um 86 Prozent zurückgegangen. Doch Ankara zeigt bisher keinerlei Bereitschaft, mit der PKK zu verhandeln. Die PKK, so glaubt man dort, sei inzwischen so geschwächt, dass man sie getrost ignorieren könne. Militärisch ist die Organisation tatsächlich weitgehend aufgerieben. Jene etwa 5000 PKK-Kämpfer, die noch in den Bergen des Länderdreiecks Türkei-Iran-Irak vermutet werden, stehen auf verlorenem Posten. Wenn der Friedensprozess Fortschritte mache, "werden diese Leute überflüssig", sagt dazu Celik. Die Hadep sei von der PKK unabhängig. Das Größte Problem ist für Celik die Flüchtlingsfrage. Die vertriebenen Bauern seien früher mit ihren Herden produktiv gewesen, heute konsumierten sie nur noch und warteten. Nun wollten sie gerne zurückkehren. Aber die türkische Regierung helfe zu wenig und habe kein Konzept dafür. Auch hier hofft er auf Europa und dessen Nicht-Regierungsorganisationen, die ausgebildetes Personal schicken könnten. Auch seine Verwaltung verfüge über Leute für den Wiederaufbau. Erste Ansätze gebe es: Es kämen Kommissionen, die die Lage sondierten. Unternehmer erstellten Studien für mögliche Investitionen, Bauwillige interessierten sich für Grundstücke. Und kürzlich habe sogar ein großes Einkaufszentrum "Galeria 2000" eröffnet. |