Frankfurter Rundschau, 21.2.2000 Letzter Versuch, das Bollwerk Schily zu knacken Den Umgang mit Flüchtlingskindern finden fast alle entwürdigend, nur der Minister nicht Von Jörg Schindler (Frankfurt a. M.) Am heutigen Montag will die National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention einen weiteren Versuch unternehmen, Innenminister Otto Schily (SPD) von ihrer Position zu überzeugen. Leicht wird das nicht. Was hat Otto Schily nicht schon alles ausgesessen. Im August vergangenen Jahres veröffentlichte Unicef eine Studie, wonach Heranwachsende von der restriktiven deutschen Asylpraxis "in besonderer Weise betroffen" sind. Schily rührte das nicht. Einen Monat später beantragte der Bundestag, Deutschland solle endlich seine ausländerrechtlichen Vorbehalte gegen die Kinderrechtskonvention zurücknehmen. Interessiert mich nicht, konterte sinngemäß Schily. Kurz vor Weihnachten forderte der SPD-Parteitag dasselbe und musste sich hernach vom SPD-Innenminister belehren lassen, man könne auch beschließen, dass jeden Tag die Sonne aufgeht. Vor einem Monat schließlich plädierte der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge eindringlich dafür, Kinder aus dem so genannten Flughafenverfahren herauszunehmen. Darauf reagierte der Sozialdemokrat schon gar nicht mehr. Ebensowenig zeigte er sich vom jüngsten Bericht der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck (Grüne) beeindruckt. "Schily ist handlungs- und beratungsresistent", folgert die Grüne Ekin Deligöz, Mitglied der Kinderkommission im Bundestag. Der Besuch der National Coalition beim Innenminister ist für sie "die letzte Chance", an der prekären Lage von Flüchtlingskindern kurzfristig etwas ändern zu können. "Die Stunde der Hardliner muss endlich gezählt sein", fordert Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann. Geht es nach der Coalition, müsste Schily endlich das Kindeswohl und das Recht Minderjähriger auf ein "Höchstmaß an Entwicklung" - wie in der UN-Konvention festgeschrieben - akzeptieren. Da er das bislang nicht tut, werden 16-jährige Asylsuchende nach wie vor wie Erwachsene behandelt und ins umstrittene Flughafenasylverfahren gedrängt; müssen sich Pubertierende ohne Papiere einer entwürdigenden "Inaugenscheinnahme" in Jugendämtern unterziehen, an deren Ende oft das geschätzte Alter 16 steht; haben unbegleitete Flüchtlingskinder nur eine befristete Duldung, eingeschränkten Zugang zu Schulen und keinen Anspruch auf ärztliche Vorsorge. Aus der Ende 1999 beschlossenen Altfallregelung fielen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sogar ganz raus. Das alles wollen die Coalition-Vertreter Schily auftischen, auf dass er ein Einsehen hat, und die ausländerrechtlichen Vorbehalte der Bundesregierung doch noch zurücknimmt. Dabei hoffen die Hilfsorganisationen nicht nur auf SPD-Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin, deren Bedenken inzwischen zerstoben sein sollen, sondern auch auf Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Die Ausländerbeauftragte Beck, so heißt es in deren Umfeld, habe dem Kanzler jüngst erläutert, dass das Thema nicht Schilys alleinige Angelegenheit sei: Auch außenpolitisch sei es "unschön", immer mal wieder auf die restriktive deutsche Praxis angesprochen zu werden. Mit diesem Argument sei Beck bei Schröder "durchaus auf Verständnis gestoßen". Aber selbst wenn sich Schily dem immer stärker werden Druck beugen sollte, heißt das nicht, dass sich zwangsläufig etwas ändern wird: Zum einen müssen vor der Rücknahme der deutschen Vorbehalte die Bundesländer gehört werden, die die Einschränkung seinerzeit durchsetzten. Zum anderen, so heißt es in Berlin, sei es gut möglich, dass Schily zu einem Trick greift, die Vorbehalte als "symbolischen Akt" zurücknimmt, aber juristisch keine Konsequenzen zieht. "Und dann geht der Streit erst richtig los." |