Neue Zürcher Zeitung, 22. Februar 2000 Besuch von Bundesrat Deiss in Ankara Neue Ära in den türkisch-schweizerischen Beziehungen Bundesrat Joseph Deiss hat am Montag seine ersten Gespräche mit der türkischen politischen Führung als «besonders freundlich und intensiv» bezeichnet. Der dreitägige Besuch des Bundesrates, des ersten Schweizer Aussenministers in der Türkei seit 1991 überhaupt, steht im Zeichen einer Normalisierung der teilweise schwer angeschlagenen bilateralen Beziehungen. Nach jahrelangen politischen Missverständnissen und diplomatischen Krisen wollen Bern und Ankara nun ein neues Kapitel aufschlagen. it. Ankara, 21. Februar Den Auftakt für den dreitägigen offiziellen Besuch von Bundesrat Joseph Deiss in der Türkei hat am Montag ein Gespräch mit seinem türkischen Amtskollegen Ismail Cem gemacht. Die Gesprächsrunde sei besonders freundlich und intensiv verlaufen, erklärte der Bundesrat kurz danach vor der Presse. Die beiden Aussenminister hätten sich darauf geeinigt, die Zusammenarbeit ihrer Länder politisch wie wirtschaftlich auszubauen. Die Türkei müsse nach ihrer Ernennung zum Kandidaten für einen Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft in den kommenden Jahren erhebliche legale und administrative Reformen einführen, sagte Deiss. Eine gemeinsame türkisch- schweizerische Expertengruppe zum Thema Menschenrechte soll nun dazu beitragen, dass diese Reformen einfacher bewältigt werden können. In Fragen der wirtschaftlichen Beziehungen wurde die Bildung einer weiteren gemeinsamen Expertengruppe beschlossen, die ein Doppelbesteuerungsabkommen ausarbeiten soll. Dies ist von besonderer Bedeutung für die Schweiz, die auf der Liste der Investoren in der Türkei an 5. Stelle rangiert. Am Montag nachmittag wurde der Bundesrat auch vom türkischen Präsidenten Süleyman Demirel sowie vom Regierungschef Bülent Ecevit empfangen. Der Besuch von Bundesrat Deiss in der Türkei und sein Empfang durch die höchste türkische Staatsführung markieren indes, dass der vor sieben Jahren abgebrochene politische Dialog zwischen Ankara und Bern wiederaufgenommen wurde. Die Schweiz und die Türkei wollen ein neues Kapitel aufschlagen und ihre Beziehungen nach den jahrelangen Krisen normalisieren. Schwer belastete Beziehungen Die Beziehungen der zwei Länder waren in den neunziger Jahren von einigem Auf und Ab geprägt. Aus schweizerischer Sicht lasteten die tödlichen Schüsse vor der türkischen Botschaft in Bern schwer. Im Juni 1993 hatten Schüsse, welche aus der türkischen Botschaft abgefeuert wurden, einen kurdischen Demonstranten getötet und weitere acht Personen verletzt. Die strafrechtliche Abklärung des Vorfalls, die von Bern gefordert wurde, scheiterte am Widerstand Ankaras. Beide Länder zogen damals ihre Botschafter zurück. - Aus türkischer Sicht besonders unangenehm wurden die sogenannten «Lausanner Ereignisse» empfunden. Im Jahr 1998 hatte die Waadtländer Kantonsregierung eine Feier zum 75. Jahrestag der Republikgründung im Palais de Rumine in Lausanne abgelehnt. Von türkischen Regierungsstellen und Presseorganen wurde dies als Beweis dafür interpretiert, dass Bern nun die Grenzen der Türkei nicht mehr anerkenne und statt dessen gar eine Teilung der türkischen Republik zugunsten eines kurdischen Teilstaates fördere. In den letzten zehn Jahren wurde die Schweiz hierzulande überhaupt als «Feind der Türken» und «Freund der Kurden» dargestellt. Heikle Kurdenfrage Offenbar auf Grund dieser Erfahrungen wurde die Kurdenfrage von der schweizerischen Delegation mit grösster Diskretion angegangen. Bei seinen offiziellen Gesprächen hat Bundesrat Deiss das Schwergewicht allgemein auf den Demokratisierungsprozess in der Türkei und nicht speziell auf die Rechte einer Bevölkerungsgruppe - etwa der Kurden - gelegt. Er hoffe, im Rahmen der allgemeinen Demokratisierung könnten auch die Kurden profitieren, insbesondere in der Wahrung ihrer kulturellen Identität und der Eigenständigkeit ihrer Sprache, sagte er. Ankara sendet aber diesbezüglich seit kurzem wieder negative Zeichen. Die Festnahme von drei prominenten kurdischen Bürgermeistern am letzten Wochenende droht im Südosten des Landes zu neuen Turbulenzen zu führen und die Beziehungen Ankaras zur EU langfristig zu belasten. Zudem hat ein höherer Offizier Fernsehsendungen auf kurdisch ausgeschlossen. Dies, obwohl Aussenminister Cem seinem Schweizer Kollegen noch das Gegenteil beteuerte. - Die 10köpfige Delegation reiste am späten Montagnachmittag weiter nach Istanbul, wo ein Treffen mit Schweizer Unternehmern angesagt war.
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