Tagblatt (CH), 22.2.2000 Tauwetter zwischen Bern und Ankara Bundesrat Joseph Deiss besucht die Türkei Die Aufmerksamkeit war klein, die die türkischen Medien dem Beginn des Besuches des schweizerischen Aussenministers Joseph Deiss in Ankara geschenkt haben. Einzig das liberale Massenblatt Milliyet widmete Deiss, den es als «historischen Gast» bezeichnete, einen Artikel. Für diesen Mangel an Interesse gibt es Gründe. Die Schüsse aus der Botschaft Die ohnehin stark an innenpolitischen Themen orientierte türkische Öffentlichkeit hat sich in den vergangenen Jahren daran gewöhnt, sich aussenpolitisch fast ausschliesslich auf die USA zu orientieren. Europäischen Ländern, ob klein oder gross, wird deshalb wenig Bedeutung beigemessen. Im weiteren ist jener Vorfall in der türkischen Öffentlichkeit längst vergessen, welcher die Beziehungen zwischen den beiden Ländern am meisten getrübt hat, nämlich die Schüsse auf kurdische Demonstranten aus der türkischen Botschaft in Bern am 24. Juni 1993. Die Schüsse töteten einen Kurden und verletzten neun weitere Menschen, darunter einen Berner Polizisten. Jahrelang getrübtes Verhältnis In der darauffolgenden Krise verschanzte sich die türkische Seite hinter der diplomatischen Immunität des Botschaftspersonals. Als Reaktion von Schweizer Seite wurde der türkische Botschafter Kaya Toperi zur unerwünschten Person erklärt und ausgewiesen. Ankara tat daraufhin mit dem Schweizer Botschafter das gleiche und 17 Monate blieben die Botschaftsposten unbesetzt. So blieb der Vorfall sowohl in der Schweiz als auch in der Türkei gerichtlich ungeklärt. Als Zeichen des guten Willens lud lediglich die türkische Polizei ihren verletzten Schweizer Kollegen zu Ferien in der Türkei ein, die dieser angenommen hat. Auch nachdem wieder Botschafter zwischen beiden Ländern ausgetauscht waren, blieben die Beziehungen nicht ungestört. Verstimmt zeigte sich die türkische Seite darüber, dass der Schweizer Aussenminister Flavio Cotti 1995 zusammen mit Norwegen eine Untersuchung der Menschenrechtslage in der Türkei im Rahmen der OSZE anstrebte, ein Vorhaben, dass aber an mangelnder Unterstützung durch andere Staaten scheiterte. Ebensowenig auf Verständnis in der Türkei stiessen zwei andere Vorfälle: 1998 wurde der Türkei aus Sicherheitsgründen verwehrt, in Lausanne den 75. Jahrestag des Lausanner Friedensvertrages zu feiern, der so etwas wie die Geburtsurkunde der modernen Türkei darstellt. Kurz darauf wurde auch noch das türkische staatliche Fernsehen TRT im Basler Kabelnetz durch den als PKK-nah eingestuften und in der Türkei verbotenen kurdischen Fernsehsender MED-TV ersetzt. Weg zur Normalisierung Der gestrige erste Besuchstag von Joseph Deiss - er traf unter anderem mit Staatspräsident Süleyman Demirel, mit Ministerpräsident Bülent Ecevit und Aussenminister Ismail Cem zusammen - hat aufgezeigt, das beide Seiten an einer Normalisierung der Beziehungen sehr stark interessiert sind. Für den ökonomischen Bereich gilt dies ohnehin, was beispielsweise in der strategischen Allianz zwischen der noch staatlichen türkischen Fluggesellschaft THY und der Swissair zum Ausdruck kommt. Gesprochen wurde gestern vor allem über Möglichkeiten zur Verbesserung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Die türkische Seite regt die Gründung eines «Business Council» an, die Schweiz will den Vorschlag prüfen.Jan Keetman, Istanbul
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