Tagesspiegel, 23.2.2000 Türkisch-europäische Beziehungen Die EU setzt sich für die Freilassung kurdischer Bürgermeister ein - Telefonaktion von Bundesaußenminister Joschka Fischer Susanne Güsten Zwei Monate nach Anerkennung der Türkei als Kandidatin für den EU-Beitritt sorgt die Festnahme von drei kurdischen Bürgermeistern in Südostanatolien für neuen Sprengstoff in den türkisch-europäischen Beziehungen. Während die Bundesregierung am Dienstag sowohl eine eigene Demarche in Ankara als auch eine Intervention der EU zu Gunsten der festgenommenen Kommunalpolitiker ankündigte, warf der türkische Vize-Ministerpräsident Devlet Bahceli den Europäern vor, den kurdischen Separatismus zu unterstützen. Auch Ministerpräsident Bülent Ecevit wies jede Kritik von außen strikt zurück. Die drei Bürgermeister von der gemäßigten Kurdenpartei Hadep, darunter das Oberhaupt der Millionenstadt Diyarbakir, waren am Samstag festgenommen worden. Unter den Sondergesetzen des Ausnahmezustands, der seit 13 Jahren über Diyarbakir und die angrenzenden Provinzen verhängt ist, saßen sie am Dienstag den vierten Tag in Folge ohne anwaltlichen Beistand in Polizeihaft und wurden verhört. Die Anwaltskammer Diyarbakir appellierte an die Sicherheitskräfte, die Politiker dabei nicht zu foltern. Nach amtlichen Angaben wird den Bürgermeistern vorgeworfen, unter dem Deckmantel der Pflege von Städtepartnerschaften rund 20 Reisen ins Ausland unternommen zu haben, die in Wahrheit dem Ziel dienten, an PKK-Versammlungen teilzunehmen und Befehle von den Rebellen entgegenzunehmen. Alle drei Bürgermeister waren erst kurz vor ihrer Festnahme aus Deutschland zurückgekommen, wo sie an einer kommunalpolitischen Konferenz in Hannover teilgenommen hatten; einer von ihnen wurde noch auf dem Flughafen festgenommen. Ein vierter Hadep-Bürgermeister, Abdullah Akin aus Batman, hält sich noch in Deutschland auf, wie die Verwaltung der südostanatolischen Stadt dem Tagesspiegel bestätigte; offenbar aus Furcht, ebenfalls festgenommen zu werden, verschob Akin seine Heimreise. Rund 30 in Freiheit verbliebene Hadep-Bürgermeister von südostanatolischen Städten versammelten sich am Dienstag in Diyarbakir, um die Freilassung der Kollegen zu fordern. "In einer Zeit, da es um die EU-Mitgliedschaft der Türkei geht, spielt diese Aktion jenen Kräften in die Hände, die die Demokratisierung sabotieren wollen", erklärten sie. Eine Hadep-Kundgebung vor dem Bürgermeisteramt wurde von den Sicherheitskräften verboten und auseinander geprügelt. In Ankara bezeichnete Vize-Premier Bahceli die Hadep inzwischen als Werkzeug der PKK und die Europäer als Sympathisanten der Rebellen. Die "Sympathien mancher westeuropäischen Staaten für die PKK" könnten die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa neuen Spannungen aussetzen, sagte Bahceli vor der Parlamentsfraktion seiner rechtsextremen Partei MHP. Auch Ecevit zeigte sich für besorgte Einwände von außen nicht zugänglich. Eine Bemerkung des in Ankara weilenden Schweizer Außenministers Joseph Deiss wies er mit dem Hinweis zurück, es handele sich um eine innere Angelegenheit der Türkei. Wie das Auswärtige Amt in Berlin mitteilte, wollte auch Bundesaußenminister Joschka Fischer noch am Dienstag seinen türkischen Amtskollegen Ismail Cem in der Angelegenheit anrufen.
|