Tagesspiegel, 23.2.2000 Irans Reformer unter Erfolgszwang Die Erwartungen der Bevölkerung und der internationalen Wirtschaft sind hoch Birgit Cerha Der überwältigende Sieg der Reformer um den iranischen Präsidenten Chatami bei den Parlamentswahlen beschert dem Iran den größten politischen Wandlungsprozeß seit der Revolution vor 21 Jahren. Chatami muss nun sein Programm zum Aufbau einer Bürgergesellschaft, zu Pluralismus und größerem Wohlstand energisch durchsetzen. Die Erwartungen der Bevölkerung sind noch höher als zuvor, da die gesetzgeberische Macht der Konservativen eingeschränkt ist. Ein Blick in die Statistik illustriert deutlich die dramatischen Auswirkungen der Isolation des Landes. Die Türkei, deren Bevölkerung etwa ebenso groß ist wie jene Irans, zog in den vergangenen 20 Jahren Auslandsinvestitionen von rund 100 Milliarden Dollar an, der Iran hingegen nur 1,5 Milliarden Dollar, obwohl ihn seine Ölschätze und die Gasreserven eigentlich weit attraktiver machen sollten als die Türkei. Die revolutionären anti-amerikanischen Slogans sind für die schleppenden Auslandsinvestitionen verantwortlich. Die neue Regierung muss vor allem die gesetzgeberische Sicherheit für ausländische Firmen schaffen. Zwar hatte die Revolution 1979 die meisten Gesetze über Handel, Auslandsinvestitionen oder Vermögensrechte nicht abgeschafft, doch teilweise ignoriert oder durch neue Bestimmungen ihren revolutionären Zielen entsprechend verändert. So schrecken gigantische bürokratische Hürden ausländische Firmen ab. Doch alles deutet vorerst darauf hin, dass das neue Parlament zunächst den politischen Reformen noch den Vorrang geben wird. Chatami stellte wiederholt klar: "Wirtschaftlicher Fortschritt lässt sich nur in einer demokratischen Gesellschaft erzielen." Nach den Angaben von Kreisen um den Präsidenten sollen die Abgeordneten im neuen Parlament an erster Stelle das "Kapitel der Revolution endgültig schließen". Künftig soll die "Herrschaft des Rechts" uneingeschränkt gelten. Zu diesem Zweck wollen die Reformer die "Revolutionsgerichte" abschaffen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Hinrichtung Tausender Menschen angeordnet und mehr als eine Million Iraner in die Gefängnisse geschickt hatten. Ein neues Gesetz soll das doppelgleisige Justizsystem beenden, das die Verurteilung prominenter Reformer ermöglichte: Das einst von Revolutionsführer Chomeini per Dekret geschaffene "Gericht der Geistlichen" solle nicht mehr existieren, ebenso das Pressegericht. Auch neue Gesetze zum Schutz von Bürgerrechten stehen auf dem Programm der Reformer. Insbesondere will Präsident Chatami paramilitärische Gruppen wie die "Ansar-e Hisbollah" auflösen, die Kreise im erzkonservativen Establishment zur Terrorisierung ihrer Gegner einsetzten. Auch das Verbot von Satellitenschüsseln wollen die Reformer aufheben.
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