Neue Züricher Zeitung, 24.02.2000 Französisches Zurückkrebsen gegenüber Ankara Torpedierung des Armenier-Gesetzes Ch. M. Paris, 23. Februar Der französische Senat hat die Abstimmung über einen bereits Ende 1998 von der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetzesentwurf verschoben, der aus einem einzigen Satz besteht und feststellt, dass Frankreich öffentlich den an den Armeniern 1915 verübten Völkermord als solchen erkennt. Vor dieser Entscheidung, die im Leitungsgremium der zweiten Kammer mit 14 gegen 6 Stimmen fiel, hatte der türkische Regierungschef Ecevit in unmissverständlicher Weise Konsequenzen angedroht für den Fall einer endgültigen Verabschiedung des Gesetzesentwurfes, die nach Ansicht Ankaras eine Behinderung der türkisch-französischen Beziehungen darstellen würde. Damit dürfte die auf ein Wahlversprechen Jospins zurückgehende Initiative, die dann in der Nationalversammlung nur von der sozialistischen Fraktion und nicht von der Regierung ausgegangen war, praktisch begraben sein, obwohl sie im Palais Bourbon vor bald zwei Jahren einstimmig angenommen worden war. Schon nach dem Votum in der Nationalversammlung hatte die türkische Seite nicht den geringsten Zweifel an ihrem Unmut gelassen und mit Repressalien im bilateralen Handelsaustausch gedroht. Auf französische Ambitionen im Rüstungsexport nach der Türkei scheint sich die Initiative zumindest vorübergehend nachteilig ausgewirkt zu haben. Die Verfolgung der Armenier durch das Jungtürkenregime Enver Paschas in der Spätzeit des Osmanischen Reiches während des Kampfes gegen Russland im Ersten Weltkrieg wird türkischerseits nicht prinzipiell in Abrede gestellt. Doch nach wie vor weist Ankara den Vorwurf des Völkermordes mit Entrüstung zurück. Zudem ist den Franzosen bedeutet worden, dass es sich eher um einen Gegenstand von Historikerdebatten als um einen Anlass zu aktueller politischer Gesetzgebung handle; diese Argumentation fand sich nun teilweise auch in der Begründung des Beschlusses der Senatsspitze, das Projekt nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Der durch die bürgerliche Opposition dominierte Senat rettete ironischerweise die Linksregierung Jospin aus einer tiefen Verlegenheit, ohne dass diese selber unter Hinweis auf die Gebote der Staatsraison hätte aktiv werden müssen.
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