Neue Zürcher Zeitung, 23. Februar 2000 Verhärtete Position Ankaras in der Kurdenpolitik Erhöhte Spannung nach der Verhaftung von drei Lokalpolitikern Die überraschende Festnahme von drei prominenten kurdischen Bürgermeistern droht die Beziehungen Ankaras zur Europäischen Union zu belasten und im Südosten Anatoliens neue soziale Unruhen auszulösen. Aus Sicht kurdischer Politiker signalisieren die Festnahmen eine deutliche Verhärtung der Regierung Ecevit in der Kurdenpolitik. it. Ankara, 22. Februar Spezialeinheiten der türkischen Gendarmerie haben, wie bereits kurz berichtet, am Samstag den Bürgermeister von Diyarbakir, Feridun Celik, festgenommen. Celik befand sich auf der Rückfahrt von einem Treffen mit kanadischen Diplomaten, als Spezialeinheiten der Gendarmerie im Stadtzentrum von Diyarbakir seinen Wagen umringten und ihn festnahmen. Kurz danach drang die Gendarmerie in das Büro des Bürgermeisters ein und stellte dort laut offiziellen Angaben belastendes Material sicher. Einige Stunden später wurde in ähnlicher Manier auch der Bürgermeister der Stadt Siirt, Selim Özalp, inhaftiert. Am Sonntag dann widerfuhr dem Bürgermeister der im zentralanatolischen Gebirge gelegenen Stadt Bingöl, Feyzullah Karaaslan, bei der Rückkehr von einer Auslandreise am Flughafen von Diyarbakir dasselbe Schicksal. Seither befinden sich die drei Bürgermeister in Untersuchungshaft in Diyarbakir. Das Besuchsrecht wurde ihnen bisher verweigert. Auch die Anwälte hatten keinen Zugang. Die drei inhaftierten Politiker sind prominente Mitglieder der Demokratiepartei des Volkes (Hadep). Die Hadep ist die einzige legale prokurdische Partei der Türkei und hatte bei den Wahlen im Vorjahr im Südosten einen überwältigenden Sieg errungen; sie stellt seither in 38 Städten die Bürgermeister. Verbreitete Ratlosigkeit Die Nachricht der Festnahmen hat in Ankara zuerst Ratlosigkeit ausgelöst. Unklar ist, was den Verhafteten genau vorgeworfen wird. Eine Erklärung aus dem Büro des Gouverneurs des unter Ausnahmezustand sich befindenden Kurdengebiets trug kaum zur Aufklärung bei. Darin heisst es unverbindlich, dass die Bürgermeister zur Propagandaarbeit der Terrororganisation Kurdische Arbeiterpartei (PKK) im In- und Ausland beigetragen, Kontakte zu PKK-Mitgliedern aufgenommen, Instruktionen aus dieser Organisation erhalten sowie diese finanziell unterstützt hätten. Unklar bleibt ferner, warum die Bürgermeister ausgerechnet von paramilitärischen Einheiten der Gendarmerie verhaftet wurden. Das Verhalten dieser Spezialeinheit hat in der Vergangenheit oft schon zu in- und ausländischer Kritik Anlass gegeben. Gemäss Gesetz ist die Gendarmerie nur für Einsätze im Feld, nicht aber in städtischen Zentren zuständig. Türkische Demokraten befürchten nun, die Festnahmen könnten das verbesserte Verhältnis zwischen der Türkei und der EU erneut belasten. Die Türkei war beim Gipfeltreffen der EU vor zwei Monaten in Helsinki offiziell zur Beitrittskandidatin erklärt worden. Die Entscheidung hatte in weiten Kreisen der türkischen Bevölkerung eine Welle der Euphorie ausgelöst. Die EU forderte von Ankara, die traurige Menschenrechtsbilanz mit konkreten Massnahmen zu verbessern. Dazu zählte, der rund 12 Millionen zählenden kurdischen Minderheit im Rahmen der Kopenhagener Kriterien ein Recht auf kulturelle Eigenständigkeit einzuräumen. Manche europäische Regierungen hofften, dass die legale prokurdische Hadep-Partei eine wesentliche Rolle spielen könnte, um den blutigen Konflikt in Südostanatolien friedlich beizulegen. Bezeichnenderweise hat die schwedische Aussenministerin, Lindh, noch letzte Woche nach einem Treffen mit dem Bürgermeister von Diyarbakir, Celik, Ankara dazu aufgefordert, die versprochenen Reformen endlich durchzuführen. Zwei Tage nach diesem Aufruf wurde Celik festgenommen. Abgelehnte Audienz In Ankara sind sich Presse und Politiker mittlerweile einig, dass die Festnahme der Bürgermeister eine Verhärtung in der Kurdenpolitik der Regierung markiert. Hinter dem Kurswechsel steht der Regierungschef Ecevit. In einem Interview mit der rechtsnationalistischen Tageszeitung «Aksam» fordert Ecevit die Hadep-Bürgermeister auf, sich um die Stadtverwaltung zu kümmern, anstatt sich in politische Angelegenheiten einzumischen. Die 38 Hadep-Bürgermeister hätten bei ihm um eine Audienz gebeten, was er aber abgelehnt habe. Ecevit machte kein Hehl aus seiner Ansicht, wonach er die Hadep-Mitglieder als den verlängerten Arm der PKK betrachtet. Kurz nach Ecevits Äusserungen schloss es ein höherer Offizier der türkischen Armee aus, Fernsehsendungen in kurdischer Sprache zu gestatten. Am vergangenen Sonntag wurden laut Presseberichten bei einer Heiratsfeier in Istanbul schliesslich Gäste verhaftet, weil sie kurdische Lieder gesungen haben. Offenbar ist der Regierung bewusst geworden, dass die Kopenhagener Kriterien von Ankara mehr Zugeständnisse erfordern, als anfänglich angenommen wurde. Nun leistet sie Widerstand dagegen. Die Verhärtung in der Kurdenpolitik könnte im Südosten zu neuen Unruhen zu führen. Seit der Festnahme der Bürgermeister finden in Diyarbakir täglich Protestdemonstrationen statt. Am Dienstag hat der Hadep-Vorsitzende, Ahmet Turan Demir, die Regierung aufgefordert, die Bürgermeister freizulassen. Nur mit ihrer Freilassung könne, so sagte er, die relative Ruhe, die in den letzten Monaten in Südostanatolien nach Jahren des Kriegs herrschte, bewahrt werden. Verhaftungen in Diyarbakir (Reuters) Die türkische Polizei ist am Dienstag mit Schlagstöcken gegen Kurden in Diyarbakir vorgegangen, die gegen die Festnahme der drei Bürgermeister protestiert hatten. Laut Polizeiangaben wurden zahlreiche Demonstranten festgenommen. An einer Medienkonferenz in Diyarbakir wies der Bürgermeister von Van, Ozarslaner, die Beschuldigung zurück, wonach die Hadep-Partei Verbindungen zur PKK unterhalte. Die drei Kollegen seien für Stabilität, demokratische Lösungen und einen dauerhaften Frieden in der Türkei eingetreten. Ozarslaner war mit 33 Hadep-Politikern nach Diyarbakir gekommen, um seinen Protest zu unterstreichen. Die Schweizer Sektion von Amnesty International verlangte die sofortige Freilassung der Inhaftierten. Ausserdem appellierte Amnesty in einem Communiqué an den Schweizer Aussenminister Deiss, während seines derzeitigen Besuches in der Türkei bei den Behörden diesbezüglich zu intervenieren.
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