Freitag, die Ost-West-Wochenzeitung, 25.2.2000 IRAN: Der Machtkampf geht in die nächste Runde Der Sieg der Reformer bei den iranischen Parlamentswahlen war erwartet worden. Nun, da er sehr überzeugend ausgefallen ist, beginnt der Kampf um die Interpretationsmacht. Haben die überwiegend jungen und weiblichen Wähler mit ihrem Votum für die Reformkräfte um Präsident Khatami ein eindrucksvolles Bekenntnis zum islamischen System Irans abgelegt? Oder war die Wahl letztlich ein Votum gegen die Theokratie? Ist das ein neuer Anfang oder der Anfang vom Ende der Islamischen Republik Iran? Der Widerspruch steckt im Staatsnamen, und die Erwartungen nach dieser Wahl treiben ihn weiter auf die Spitze. Wer herrscht in Iran? Das Volk mittels seiner gewählten Repräsentanten, oder die schi'itische Geistlichkeit mit ihrem Machtanspruch auf das letzte politische Wort? Die doppelte Botschaft dieser Wahl entspricht dem dualen politischen System des Landes: Auf der einen Seite das deutliche Signal an der Wahlurne: Wir sind das Volk! Auf der anderen die Antwort der islamischen Reformer: Wir machen das schon! Und dazwischen die latente Drohung konservativer Hardliner: Bis hierher und nicht weiter! Auch der Schah von Persien hat sich einst an Reformen versucht, um seine Herrschaft zu retten. Der Versuch endete in der islamischen Revolution von 1979/80. Danach gab es Krieg, weil Saddam Hussein glaubte, die Schwäche des Nachbarn ausnutzen zu können. Dieser Krieg wurde für den Revolutionsführer und theokratischen Staatsgründer Ayatollah Khomeini zum »Segen Gottes«. Ein Segen, der in acht Jahren »heiligen« Schlachtens 300.000 Iraner das Leben kostete, 500.000 als Krüppel zurück ließ, drei Millionen die Existenz nahm und das Land wirtschaftlich um Dekaden zurückwarf. Von dem doppelten Schock einer islamischen Kulturrevolution, die durch den Krieg zugleich legitimiert, etabliert und deformiert wurde, hat sich Iran bis heute nicht erholt. Und doch schien das Land damals durch die islamische Revolution befreit. Der Schah hatte Iran mit seinem großen Öl-Sprung in die westliche Moderne ökonomisch abhängig gemacht und kulturell entwurzelt. Coca Cola verdrängte Tee als Nationalgetränk, und der Schleier wurde verboten. Khomeini drehte den Spieß um: Sein Schleierzwang sollte auch Signal für eine selbstbestimmte Entwicklung Irans sein. Daraus wurde nichts. Es blieb beim »revolutionären« Elite- und Klientelwechsel. Die »Westler« der alten Administration wichen neuen »Islamisten« an der Staatsspitze, und das Fußvolk der islamischen Revolution, die vom Schah verachteten »Entrechteten« der Vorstädte, wurden - soweit nicht im »Heiligen Krieg« verheizt - mit sozialstaatlichen Almosen versorgt. Im 21. Jahr der islamischen Machtergreifung verlangt nun eine neue Generation in Iran, alte Versprechen einzulösen. Die junge Reform-Wählerschaft hat die kulturelle Emanzipation ihrer Väter längst verinnerlicht. Sie fordert jetzt als Zugabe politische Freiheiten, Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Erfolg. Damit treibt sie das System der Islamischen Republik an seine Grenzen - und zwingt die Revolutionäre von einst zum reformerischen Offenbarungseid. Der Machtkampf in Iran ist noch nicht entschieden. Er fängt jetzt erst richtig an.
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