Berliner Morgenpost, 25.2.2000 Türkische Reformen sind durch neue Willkürurteile ins Stocken geraten Mehrjährige Haftstrafen für Chefs der Kurden-Partei Hadep Von Claudia Steiner dpa Istanbul - Noch vor kurzem prophezeiten Beobachter im In- und Ausland Frieden im Südosten der Türkei und eine Lösung der Kurdenfrage. Doch diese Prognosen scheinen verfrüht gewesen zu sein: Die Verhaftung von drei kurdischen Bürgermeister, die gestern erfolgte Verurteilung von Politikern der kurdischen Demokratie-Partei des Volkes (Hadep) und ein zeitweiliges Sendeverbot für «CNN Türk» wegen einer Diskussions-Sendung über PKK-Chef Abdullah Öcalan haben dem Image der sich wandelnden Türkei schwer geschadet. «Jeder fragt sich, warum die Türkei das Interesse am Demokratisierungsprozess verloren hat», kommentierte die Turkish Daily News. Wenige Stunden nach dem Erlass des Haftbefehls und der unterdessen erfolgten Anklage gegen die Bürgermeister waren die Hadep-Politiker wegen Unterstützung der PKK zu jeweils drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. Zu den Verurteilten gehören auch der gegenwärtige Parteivorsitzende Achmet Turan Demir und sein Vorgänger Murat Bözlak. Gemeinsam mit 45 weiteren Angeklagten wurden sie wegen ihrer Teilnahme an Hungerstreiks und Protestaktionen für den sich zur Jahreswende 1998/1999 in Italien aufhaltenden Öcalan verurteilt. Bei der Parlamentswahl vom April hatte die Hadep in 35 Städten und Gemeinden im türkischen Südosten gesiegt. Die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara betreibt mittlerweile ein Verbot der Partei. Immerhin wurden bereits drei Vorgängerparteien der Hadep verboten. Aber auch andere Verschärfungen in der Türkei vermitteln den Eindruck, als würden die im vergangenen Jahr eingeleiteten Reformen ins Stocken geraten. Allein die Frage «Könnte Öcalan vielleicht zu einem Mandela werden? Könnte der Punkt kommen, an dem man sagt, Öcalan soll frei sein?», brachte dem Fernsehsender «CNN Türk» Sendeverbot ein. Und dabei hatte Außenminister Cem noch vor wenigen Wochen erklärt, er sei für mehr Pressefreiheit in der Türkei.
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