newsclick, 26.2.2000 Kinder von Abschiebeentscheidung betroffen Familie Öztürk wurde zunächst unter dem Namen Amaral hier geduldet Von Daniel Puskepeleitis WOLFENBÜTTEL. Rechtliche Möglichkeiten haben Mehmet Öztürk und seine Familie vollständig ausgeschöpft. Aus juristischer Sicht gibt es an der Entscheidung der Wolfenbütteler Ausländerbehörde nichts zu deuteln: Sobald alle erforderlichen Papiere vorliegen, muss die Familie Deutschland verlassen. Betroffen sind auch die Kinder, die dort größtenteils aufgewachsen sind. Eine Abschiebung wie viele andere - und doch unterscheidet sich diese Geschichte von den meisten anderen. Zwölf Jahre ist es her, als Mehmet Öztürk mit Hilfe einer Schleuserbande nach Deutschland kam - illegal, ohne gültiges Visum. Obwohl in der Türkei geboren, verbrachte der heute 42-Jährige einen Großteil seiner Jugend im Libanon. Erst 1985 ging er zurück in die Türkei, meldete sich ordnungsgemäß bei den Behörden und erhielt einen türkischen Pass. An die türkischen Kultur jedoch habe er sich nie gewöhnen können. Bis heute spricht er arabisch. Die nächste Station von Mehmet Öztürk war Deutschland. Unter zwei falschen Namen stellte er einen Asylantrag bei den Behörden: einmal unter dem Namen Al Zen, der libanesischer Palästinenser sein sollte, ein anderes Mal als Amaral, ein staatenloser Kurde aus dem Libanon. "Zu der Zeit gab es eine Bleiberechtsregelung für Kurden aus dem Libanon", erklärt Klaus Krake, Leiter der Ausländerbehörde im Landkreis Wolfenbüttel. Öztürks Frau und sechs Kinder kamen nach, und die Familie konnte bleiben. Im November 1990 erhielt die ganze Familie unter dem Namen Amaral eine Aufenthaltserlaubnis, die in regelmäßigen Abständen verlängert wurde. Vor zwei Jahren allerdings flog der Schwindel auf: In einer groß angelegten Untersuchung einer Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamtes kam heraus, dass die Familie Amaral eigentlich Öztürk heißt und die türkische Staatsangehörigkeit besitzt und so keinen Anspruch auf Aufenthalt hat. Gleichzeitig deckte die Ermittlungsgruppe bundesweit 500 weitere Betrugsfälle auf. "Hätte die Familie bei ihrem Antrag auf Asyl ihre offizielle Identität preisgegeben, wäre sie sofort zurückgeschickt worden", vermutet Thomas Heek vom Refugium, einer Flüchtlingsberatungsstelle in Braunschweig. Der Sozialarbeiter hat sich in den Fall der Familie eingearbeitet, und er weiß, dass diese Geschichte ungewöhnlich ist: "Die Familie hat keine Heimat. Egal wo sie hinkommt, sie bleibt Ausländer." Abgeschoben werden sollen die Amarals nun in die Türkei. "Problematisch in diesem Fall sind doch vor allem die Kinder", meint Klaus Krake. Mit sechs Kindern kam die Familie nach Deutschland, sechs weitere wurden hier geboren, drei Enkel kamen in den vergangenen Jahren zur Welt. Alle sind in deutscher Umgebung aufgewachsen. Die 16-jährige Nadya bringt es auf den Punkt: "Ich habe keinen Bezug zur Türkei. Hier bin ich groß geworden, habe mich an die deutsche Sprache und die Kultur gewöhnt." Abgeschoben zu werden in ein Land, das sie bloß als Baby kennen gelernt hat - das kann sie sich nicht vorstellen. Alle Möglichkeiten, die Abschiebung zu verhindern, sind indes gescheitert: Widersprüche wurden abgelehnt, und selbst eine Petition im Niedersächsischen Landtag blieb erfolglos. "Das private Interesse der Familie muss hinter das öffentliche Interesse an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandlens zurücktreten", heißt es in der vierseitigen Erklärung. Außerdem seien den Kommunen in den zwölf Jahren Belastungen in Millionenhöhe entstanden. Tatsächlich lebte die Familie in der Vergangenheit fast ausschließlich von Sozialhilfe. Nun gibt es bloß einen Strohhalm, an dem sich Mehmet Öztürk klammern kann: Eine Schrottfirma bietet ihm eine Stelle an. Bedingung: Der Arbeitsvertrag muss auf ein Jahr befristet sein. Thomas Heek weiß, dass die Chancen, die Familie nicht abzuschieben, dadurch nur wenig steigen. "Schließlich ist das gesamte Verfahren rechtlich absolut sauber. Nun bleibt nur eine Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen", erklärt er und meint zugunsten der Kinder. "Sie sind auch die Motivation, warum ich mich in diesem Fall engagiere." Mit einem letzten Antrag will sich der 30-Jährige nun an den jetzigen Entscheidungsträger, die Bezirksregierung Braunschweig, wenden. Doch auch Klaus Krake sieht nur noch geringe Erfolgsaussichten. "Die Entscheidung der Abschiebung habe ich nur schweren Herzens getroffen - wegen der Kinder", gesteht er. Sechs Wochen kann es nun noch dauern, bis die Familie per Flugzeug in die Türkei reist. Die Geburtsurkunde eines Enkelkindes fehlt noch. Dann geht es aber zurück.
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