Tagesspiegel, 29.2.2000 Streit um Abschiebungen Bremer Senat will nach aufgedecktem Asylbetrug hart durchgreifen "Amnesty international" empfiehlt eine differenzierte Betrachtung des Vorfalls Eckhard Stengel Die Menschenrechtsorganisation "amnesty international" (ai) hält die in Bremen aufgedeckten Falschangaben von Asylbewerbern über ihre Identität für "sehr ärgerlich", empfiehlt aber eine differenzierte Betrachtung. Möglicherweise hätten einige der Beschuldigten nur deshalb "zu solchen Tricks gegriffen", weil sie sich wegen der strengen deutschen Asylpraxis sonst keine Chance auf Bleiberecht ausgerechnet hätten, sagte "ai"-Flüchtlingsreferent Wolfgang Grenz am Montag dem Tagesspiegel. Er appellierte an die Behörden, die Beschuldigten "nicht im Hau-Ruck-Verfahren" abzuschieben, sondern die Einzelschicksale zu prüfen. Bremens Innensenator Bernt Schulte (CDU) sprach am Montag von "einem der größten Fälle von Asylmissbrauch in Deutschland". Eine Sonderermittlungsgruppe der Polizei hatte nach Schultes Worten herausgefunden, dass sich "über 500 Personen unter Angabe einer falschen Nationalität in Bremen aufhalten". Sie hätten von 1986 an mit türkischen Papieren meist in Frankfurt (Main) Asylanträge als verfolgte Kurden gestellt. Danach seien sie zunächst untergetaucht und hätten sich später in Bremen als angebliche Libanesen oder Staatenlose gemeldet und hier erneut Asyl beantragt. Sie hätten darauf spekuliert, nicht abgeschoben werden zu können, weil der Libanon sie nicht als Staatsbürger anerkenne. Wie die Innenbehörde einräumte, sind noch nicht alle 500 Fälle erwiesen. Abgeschlossen seien die Ermittlungen erst in etwa 200 Fällen. Innensenator Schulte und Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) appellierten an die Öffentlichkeit, nicht auch diejenigen Flüchtlinge pauschal zu verdächtigen, die zu Recht um Asyl nachsuchten. Senatorin Adolf wies zudem darauf hin, dass es nicht um betrügerischen Doppelbezug von Sozialhilfe gehe: Die Beschuldigten hätten nur in Bremen und nicht auch andernorts Sozialhilfe bekommen - allerdings länger, als ihnen eigentlich zugestanden hätte. Bei dem zunächst genannten Schaden in zweistelliger Millionenhöhe müssten laut Adolf diejenigen Sozialhilfeleistungen abgezogen werden, die während des Asylverfahrens ohnehin gezahlt werden müssten. Innensenator Schulte kündigte an, überführte Personen konsequent abzuschieben. Er fordert eine zentrale Koordinierung der Ermittlungen beim Bundesinnenminister. Außerdem müssten von Flüchtlingen schon bei der Einreise Fingerabdrücke abgenommen werden.
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