Stuttgarter Zeitung, 29.2.2000 Kurdische Bürgermeister wieder im Amt Trotz Freilassung steht die Türkei vor einem politischen Scherbenhaufen Diyarbakir - Sie wurden gefeiert, als hätten sie einen großen Sieg errungen. Als drei Bürgermeister der pro-kurdischen Partei Hadep am Montag in der südosttürkischen Provinzhauptstadt Diyarbakir nach neun Tagen hinter Gittern winkend und lachend aus dem Gefängnistor traten, wurden sie von ihren Anhängern begeistert begrüßt. Von unseren Korrespondentem THOMAS SEIBERT, zurzeit Diyarbakir Es gab Applaus, Blumen und Umarmungen. Tatsächlich haben die Bürgermeister, denen Unterstützung für die kurdischen PKK-Rebellen vorgeworfen wurde, einen wichtigen Erfolg errungen: Sie wurden nicht nur freigelassen, sondern auch wieder in ihre Ämter eingesetzt, die ihnen vom Innenministerium in Ankara bereits aberkannt worden waren. Das Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir entschied, dass bei den drei Bürgermeistern keine Fluchtgefahr bestehe, sie in Freiheit keine Beweismittel zerstören könnten und deshalb vorläufig freigelassen werden müssten. Der Strafvorwurf der Unterstützung für die Kurdenrebellen von der PKK ist damit aber noch nicht aus der Welt. Die Lokalpolitiker erhalten nun aber die Möglichkeit, die Zeit bis zu ihrem Gerichtsverfahren zu Hause statt in der Gefängniszelle zu verbringen. Die Einschätzung des Gerichts unterstreicht, wie überzogen die Aktion der Sicherheitsbehörden bei der Festnahme der Politiker war. Polizei und Armee hatten die drei am 19. Februar wie Schwerverbrecher verhaften und tagelang ohne rechtsanwaltliche Vertretung verhören lassen. Als sie dann einem Richter vorgeführt wurden, widerriefen sie ihre in den Verhören gemachte Geständnisse über PKK-Verbindungen. Nach türkischen Fernsehberichten sagten die Bürgermeister aus, die Geständnisse sei ihnen mit Folterdrohungen abgepresst worden. Nach Monaten der Annäherung an den Westen machte die Türkei plötzlich wieder als Unterdrücker-Staat Schlagzeilen. Außenminister Joschka Fischer sagte seinem türkischen Amtskollegen Ismail Cem, Fälle wie diese machten es schwer, sich in Europa für die EU-Ambitionen Ankaras einzusetzen. Offenbar zeigte dieser internationale Druck Wirkung. Der Bürgermeister von Diyarbakir, Feridun Celik, sowie seine beiden Kollegen Feyzullah Karaaslan und Selim Özalp müssen sich zwar in den kommenden Monaten vor Gericht verantworten; bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu fünf Jahre Haft und der endgültige Entzug ihrer Ämter. Doch am Montag konnten sie einen triumphalen Wiedereinzug in ihre Rathäuser feiern. Damit ist nun nach neun Tagen mehr oder weniger der Zustand von der Zeit vor den Festnahmen wieder hergestellt. Doch einen wichtigen Unterschied gibt es: Mit den Festnahmen haben die türkischen Behörden innen- wie außenpolitisch unnötig viel Porzellan zerschlagen - und das Vertrauen in den Demokratisierungsprozess ihres Landes untergraben.
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