Financial Times Deutschland, 3.3.2000 Grenzenlos gefechtsbereit Von Wolfgang Proissl, Berlin Der kommende Montag dürfte in den Kalendern von Rüstungsindustriellen und Exportkontrolleuren rot markiert sein. An diesem Tag will das Staatssekretariat für Wehrtechnik und Beschaffungswesen in Ankara entscheiden, wer den Zuschlag erhält, für die türkischen Streitkräfte 145 Kampfhubschrauber zu bauen. Auf dem Spiel steht ein Auftragsvolumen von 8 Mrd. DM. Zu den Bewerbern zählt auch der deutsch-französische Hersteller Eurocopter. Die Gemeinschaftsfirma, die zu 40 Prozent DaimlerChrysler Aerospace (Dasa) und zu 60 Prozent Aerospatiale-Matra gehört, hat ihren neu entwickelten Kampfhubschrauber Tiger im Rennen. Noch ist völlig offen, ob die Türken dem Tiger den Vorzug geben. Eurocopter konkurriert mit den besten Herstellern der Welt. Boeing bewirbt sich mit seinem Apache-Hubschrauber genauso um den türkischen Großauftrag wie der italienische Hersteller Agusta. Sollte Eurocopter jedoch tatsächlich den Zuschlag erhalten, dann könnte die Bundesregierung den Export des deutsch-französischen Kampfgeräts nicht verhindern. Ein Geheimabkommen mit Frankreich verpflichtet Berlin zur Ausfuhr. Zwar hat die rot-grüne Bundesregierung erst im Januar eine Verschärfung der Rüstungsexportrichtlinien beschlossen. Doch diese Regeln stehen nur auf dem Papier. Durch das Zusammenwachsen der europäischen Rüstungsindustrie werden die strengen nationalen Richtlinien in vielen Fällen ausgehebelt. Im vergangenen Oktober erst hatte die Entscheidung des Bundessicherheitsrats, einen deutschen Testpanzer in die Türkei zu liefern, die Regierung in eine schwere Krise gestürzt. Während Kanzler Gerhard Schröder für eine Lieferung des Leopard II zu Testzwecken stimmte, war sein Außenminister Joschka Fischer strikt dagegen. Nach wie vor würden in der Tükei die Menschenrechte verletzt, so die Begründung des Grünen. Die Konfrontation zwischen Kanzler und Vizekanzler "war eine Art politischer Worst Case", sagt Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Auf Betreiben der Grünen setzte die Koalition daraufhin einen Ausschuss ein, der die Rüstungsexportrichtlinien neu ausgearbeitet hat. Das Neue daran ist, dass "die Beachtung der Menschenrechte imBestimmungs- und Endverbleibsland" künftig bei allen Rüstungsexporten berücksichtigt werden muss. Was das nun genau heißt, ist unter Experten umstritten. Menschenrechtler legen die neuen Regeln ebenso zu ihren Zwecken aus wie Unternehmer. "In der Realität bedeutet dies, dass Rüstungsausfuhren ja nach politischer Lage mal so, mal so entschieden werden", fasst ein betroffener Industrievertreter den Interpretationsspielraum zusammen. Häufig spielen die deutschen Richtlinien ohnehin keine Rolle mehr. Sollten sich die Türken am Montag für den Tiger-Hubschrauber entscheiden, dann müsste der deutsch-französische Niedrigfliegers auch ausgeliefert werden. Das sieht ein Geheimabkommen mit Frankreich vor. Das Groteske dabei: Ausgerechnet der Tiger ist für das rabiate Vorgehen der türkischen Militärs gegen kurdische Separatisten in den Bergen Südostanatolien wie geschaffen. Für den umstrittenen Kampfpanzer Leopard II hingegen ist diese Region nach Meinung von Experten kaum zugänglich. Das fünfseitige Schmidt-Debré-Abkommen von 1972, in dem der damalige Verteidigungsminister Helmut Schmidt und sein französischer Kollege Michel Debré den Export gemeinsam gefertigter Rüstungsgüter klärten, legt in Artikel 2 fest: "Keine der beiden Regierungen wird die andere Regierung daran hindern, Kriegswaffen oder sonstiges Rüstungsmaterial, das aus einer gemeinsam durchgeführten Entwicklung oder Fertigung hervorgegangen ist, in Drittländer auszuführen oder ausführen zu lassen." Nur "im Ausnahmefall" könnte Deutschland die Ausfuhr für Komponenten eines Gemeinschaftsprojekts versagen. Da nationale Gesetze laut Abkommen jedoch "im Geiste der deutsch-französischen Zusammenarbeit" auszulegen sind, ist ein solcher Ausnahmefall reine Theorie. Die vertrauliche Vereinbarung ist "auf künftige Gemeinschaftsprojekte" anzuwenden und gilt damit auch für das 1992 gegründete Unternehmen Eurocopter. In den vergangenen Jahrzehnten wurden fernab der Öffentlichkeit eine Reihe solch vertraulicher Abkommen abgeschlossen, die die deutschen Regeln für Kooperationsprodukte de facto aushebeln. Den Rüstungskonzerne bietet dies die Möglichkeit, den politischen Druck zu umgehen. So könnte Eurocopter den Tiger-Helikopter für die Türkei im südfranzösischen Marignane montieren lassen und von dort als französisches Produkt exportieren. Dadurch würden sich Fragen nach der Genehmigung von vornherein erübrigen. Die Kooperations-Abkommen machen durchaus Sinn: Die deutsche Rüstungsindustrie basiert in weiten Bereichen auf internationalen Kooperationen, insbesondere mit Unternehmen in Frankreich und Großbritannien. Nach Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) werden 70 Prozent der wehrtechnischen Vorhaben Deutschlands mit ausländischen Partnern realisiert. Prominente Ausnahme: Der Leopard II. Der Panzer wird ausschließlich hier zu Lande produziert. Seit Ende der 80er Jahre wurden in nahezu allen europäischen Ländern die Verteidigungshaushalte und Beschaffungsbudgets drastisch zusammengestrichen. Zugleich stiegen die Entwicklungskosten für die Hightech-Geräte in ungeahnte Höhen. Kein Staat kann es sich künftig mehr leisten, komplexe Waffensysteme wie Kampfflugzeuge in nationaler Regie zu entwickeln. Der Zwang zur Konsolidierung, zumindest aber zur Zusammenarbeit, nimmt ständig zu. So haben die Unternehmen Dasa, Aerospatiale-Matra und die spanische Casa unlängst den europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS gegründet. Da die nationalen Märkte schrumpfen, spielt der Export einer immer wichtigere Rolle. Einheitliche Rahmenbedingungen gewinnen da zunehmend an Bedeutung. Zwar existieren bereits internationale Verhaltensregeln - etwa die Prinzipien zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen derOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) von 1993 und der Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren von 1998. Das Problem ist nur: Die Regeln sind unverbindlich, jeder Staat legt sie nach eigenem Gutdünken aus. Während sich Deutschland schwertut, seinen Leopard-Panzer in die Türkei zu exportieren, sähe Frankreich im EU-Kodex kein Hindernis dafür, seinen Leclerc-Panzer nicht in die Türkei auszuliefern. Ein sogenannter Letter of Intent soll nun einheitliche Marktregeln für Europas Kriegsgüterindustrie schaffen. Seit vergangenem Jahr diskutieren die Regierungen von Europas größten Wehrtechnikproduzenten über eine solche Übereinkunft. Teil 3 des 32-seitigen, bislang geheimen Rahmenabkommens soll die Regeln für die "Transfer- und Export-Prozeduren" festlegen. Um künftig endlose Debatten über bestimmte Exportentscheidungen zu verhindern, wollen sich die Vertragsparteien auf eine Liste mit "erlaubten Exportzielen" verständigen. Probleme bereiten derzeit vor allem die Deutschen. Die Bundesregierung will ihre strengen Maßstäbe durchsetzen. Staaten wie Frankreich und Großbritannien, die bisher eher nach ihren sicherheitspolitischenInteressen als nach Menschenrechtserwägungen exportiert haben, lehnen die deutschen Richtlinien bislang jedoch ab. Falls sich Briten und Franzosen durchsetzen, stünde die Bundesregierung vor einem Dilemma: Sie müsste eingestehen, dass ihre strikten Exportgrundsätze nicht viel mehr als ein Feigenblatt sind. Besteht sie hingegen auf ihrer Position und behindert das Entstehen eines europäischen Rüstungsütermarktes, dann blockiert sie damit auch die deutsche Industrie. Im Sommer wird die Türkei eine Entscheidung fällen, welchen Kampfpanzer sie kauft. Dann wird sich zeigen, ob der Leopard zum Zuge kommt und ob die Deutschen die Ausfuhr genehmigen. Doch selbst wenn die Bundesregierung blockt, heißt das noch lange nicht, dass die Deutschen völlig leer ausgehen. Sowohl US-Konkurrent General Dynamics als auch die französische Waffenschmiede Leclerc sind daran interessiert, ihre Panzer mit Dieselmotoren der DaimlerChrysler-Tochter MTU auszustatten. |