taz, 4.3.2000 Seite 11

"MEHMET" WIRD VERBANNT, ABER DIE PROBLEME BLEIBEN

Deportation ist keine Lösung

Er ist reuig? Hat sich gebessert? Geändert gar? Hilft nichts, der Türke wird verbannt. Und München kann aufatmen. Die größte Gefahr für die Landeshauptstadt seit der Drohung des Wittelsbacher Prinzen Luitpold, auf dem Oktoberfest nicht münchnerisches Bier auszuschenken, ist abgewandt. "Mehmet", der nunmehr 15-jährige jugendliche Straftäter, kann in der heilen Bayernwelt keinen Schaden mehr anrichten: Er wurde gestern dauerhaft in die Türkei verbannt.

Die harte Münchner Linie, erfunden vom ehemaligen Kreisverwaltungsreferenten Hans-Peter Uhl (CSU), übernommen von seinem Intimfeind, dem Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), scheint also erfolgreich zu sein. In München war gleich nach der Abschiebung Ende 1998 aufgrund des abschreckenden "Mehmet-Effekts" die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen ohne deutschen Pass zurückgegangen. Das freut die braven Bürger. Und dem jungen Kriminellen scheint die Deportation aus seiner Heimat, dem Münchner Arme-Leute-Stadtteil Neuperlach, keineswegs geschadet zu haben. Schon seit Monaten keine Berichte über neue Straftaten Mehmets, stattdessen beste Sozialprognosen für den Geläuterten. Beim großen Erdbeben von Istanbul soll er sogar wohltätig als Dolmetscher gearbeitet haben.

Die Abschiebung jugendlicher Straftäter müsse den "Ruch des Besonderen" verlieren, verkündet denn auch der Münchner Polizeipräsident Roland Koller. Ist ja auch so nahe liegend wie einleuchtend: Kleine Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen, das wussten schon unsere Großeltern. Und sind die Problemkinder erst mal außer Sichtweite, ist das Problem auch schon gelöst. Genau hier liegt der Fehler im weißblauen Denkschema. Denn kriminelle Jugendliche und Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind, sind ein Produkt der hiesigen Gesellschaft. Egal was in ihrem Pass steht: Verantwortlich für ihre Taten sind nicht sie, sondern ist die fehlgeschlagene Integrations- und Sozialpolitik deutscher Politiker. Wer, wie die große Abschiebekoalition in Bayern, nur die Symptome bekämpft, medienwirksam und immer auf das gesunde Volksempfinden achtend, mag wohl die nächste Wahl gewinnen. Es ist ein billiger Sieg. Denn auch wenn jeder "Mehmet" künftig schnellstens abgeschoben wird, es wachsen neue nach. Auch deutsche. Was will die CSU mit denen machen? Auch ausfliegen? Wohl kaum.

So wird sich im abgeschiedenen Alpenland eines Tages die bittere Erkenntnis durchsetzen, dass man die Realität akzeptieren muss, auch wenn sie "Mehmet" heißt und einem nicht gefällt.

STEFAN KUZMANY